Tunesischer Präsident Saied will Obersten Justizrat auflösen

Tunis. Der tunesische Präsident Kais Saied will den Obersten Justizrat in seinem Land auflösen. Saied kündigte am Sonntag an, die Institution werde bald der Vergangenheit angehören und fügte hinzu, er werde ein vorläufiges Dekret für den Rat erlassen. Einzelheiten nannte er nicht. Der Rat erklärte am Nachmittag, man werde die Anordnung nicht befolgen und vielmehr die Arbeit fortsetzen. Seit Monaten wirft der Präsident den Richtern vor, so zu handeln, als seien sie der Staat statt eine Staatseinrichtung. Saied kritisierte, die Justiz fälle in Korruptions- und Terrorismusfällen Urteile nur mit Verzögerung.



Der 2016 gegründete Rat soll die Unabhängigkeit der Justiz gewährleisten. Saied entmachtete am 25. Juli bereits die Regierung und das Parlament und regiert seither per Dekret. Dieses Vorgehen rechtfertigt er mit der Notwendigkeit, einen politischen und wirtschaftlichen Stillstand in seinem Land zu überwinden und die Coronavirus-Pandemie in den Griff zu bekommen.



Saied hat für Juli eine Abstimmung über eine Verfassungsreform angekündigt und für Dezember Parlamentswahlen. Seine Gegner werfen ihm einen Putsch vor, auch weil er den Dialog mit allen politischen Parteien ablehnt. Sie fürchten um die demokratischen Errungenschaften, die sie mit der Revolution von 2011 erlangten.



Im vergangenen Monat strebte die größte Oppositionspartei des Landes, Ennahda, eine Machtprobe mit dem Präsidenten an, indem sie trotz eines Versammlungsverbots zu Kundgebungen aufrief. Die moderat islamistische Partei erklärte, sie wolle gegen "die entstehende Diktatur" protestieren. Bei den Protesten ging die Polizei mit Schlagstöcken und Wasserwerfern gegen Demonstranten vor, ein Mann kam ums Leben. Im November protestierten Tausende Menschen gegen den Präsidenten. Sie forderten die Wiederaufnahme des parlamentarischen Betriebs und die Wiederherstellung der Demokratie. (Reuters)