Türkischer Ex-Präsident verzichtet auf Kandidatur gegen Erdogan

Er hätte Kritiker und Anhänger Erdogans für sich gewinnen können. Doch der ehemalige Präsident Gül will bei der Wahl im Juni nicht gegen Erdogan antreten. Was bedeutet das für die Opposition?

Der ehemalige türkische Präsident Abdullah Gül verzichtet bei der vorgezogenen Wahl des Staatschefs im Juni auf eine Kandidatur gegen Amtsinhaber Recep Tayyip Erdogan. Sein Name sei ohne seine Einwilligung von einer kleinen islamischen Partei in den Ring geworfen worden, sagte Gül am Samstag vor Journalisten. Er hätte nur im Falle einer Unterstützung durch eine größere Bewegung eine Kandidatur in Erwägung gezogen. Eine solche Bewegung sei aber nicht zustande gekommen.

Die Atmosphäre in der Türkei vor der Wahl wertete Gül als negativ. «Die Türkei hat leider keine positive Agenda», sagte er. Gül warnte vor einer «Polarisation» und sagte zudem, es gebe zunehmende Sorgen über die wirtschaftliche Situation des Landes. Erdogan, der am Sonntag in Istanbul von Journalisten auf den Verzicht Güls angesprochen wurde, sagte, er wolle das nicht kommentieren.

Nach der Ankündigung Erdogans, die ursprünglich für November 2019 geplanten Wahlen auf den 24. Juni vorzuziehen, war über eine Kandidatur Güls spekuliert worden. Bei der Abstimmung werden erstmals zeitgleich der Präsident und ein neues Parlament gewählt. Damit soll der von Erdogan angestrebte und vor einem Jahr per Referendum beschlossene Umbau zum Präsidialsystem abgeschlossen werden. Der Präsident wäre dann zugleich Staats- und Regierungschef und mit weitreichenden Vollmachten ausgestattet. Die Opposition warnt vor einer Ein-Mann-Herrschaft.

Gül ist Mitbegründer von Erdogans Regierungspartei AKP. Er war Ministerpräsident, Außenminister und Präsident. Kritiker Erdogans hatten gehofft, das Gül als Kandidat sowohl Wähler der Opposition als auch der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP für sich gewinnen könnte.

In den Medien wurde darüber spekuliert, dass Gül für die kleine islamistische Saadet-Partei oder sogar als gemeinsamer Kandidat für Saadet und die größte Oppositionspartei CHP antreten könnte. In den vergangenen Tagen hatten sich die Chefs der Oppositionsparteien getroffen. CHP-Chef Kemal Kilicdaroglu kam auch mehrmals mit der Chefin der neu gegründeten Iyi-Partei, Meral Aksener, zusammen.

Aksener will gegen Erdogan antreten. Die pro-kurdische Oppositionspartei HDP erwägt eine Kandidatur ihres inhaftierten Ex-Parteichefs Selahattin Demirtas. Wen die CHP ins Rennen schickt, ist noch unklar. (dpa)