Trümmer, Staub und große Not - Aleppo nach sechs Jahren Bürgerkrieg

Mit Protesten begann im März 2011 der Aufstand gegen die syrische Regierung. Seitdem sind rund 400 000 Menschen in dem Bürgerkrieg ums Leben gekommen. Kaum eine andere Stadt hat so gelitten wie Aleppo. Von Jan Kuhlmann

Als Jassin Safi vor vier Jahren sein Viertel in Aleppo verließ, hatte er die Hoffnung, nach ein paar Tagen zurückkehren zu können. Doch aus Tagen wurden Wochen und aus Wochen Monate. Am Ende sollte es vier Jahre dauern bis Safi seinen Stadtteil im Osten der nordsyrischen Stadt wieder betreten konnte - und kaum mehr erkannte.

Al-Schaar, das war früher ein eng bebautes Viertel mit viel Verkehr und belebten Märkten. Doch was Jassin Safi bei seiner Rückkehr vorfand, sah völlig anders aus: Al-Schaar, das ist heute eine Landschaft aus Trümmern und Staub.
Zum sechsten Mal jährte sich der Ausbruch des syrischen Aufstands am 15. März, dem Tag im Jahr 2011, als Hunderte in Damaskus zu Protesten auf die Straße zogen. Seitdem sind rund 400.000 Menschen in dem Bürgerkrieg getötet worden. Wie kaum eine andere Stadt steht Aleppo für die Leiden, die das Land erlebt. 2012 nahmen Gegner von Präsident Baschar al-Assad den Osten der früheren Handelsmetropole ein. Seitdem war die Stadt zweigeteilt - und heftig umkämpft.

Über Jahre lieferten sich die Kriegsparteien Abnutzungsgefechte. Zeitweise bombardierten  Flugzeuge Aleppos Osten fast täglich und ließen Hunderte von Fassbomben auf die Rebellengebiete regnen. Tausende Menschen starben. Bis Armee und verbündete ausländische Milizen den Ost-Aleppo im vergangenen Dezember überrennen konnten - und die letzten Rebellenviertel schließlich evakuiert wurden.

Für den Bürgerkrieg war dieser Sieg der Regierung ein Wendepunkt. Obwohl Rebellen zwar noch immer mehrere Gebiete beherrschen, dürften sie sich von diesem Schlag kaum erholen. Die Assad-treuen Kräfte hingegen kontrollieren wieder alle großen Städte. Der Machthaber selbst, dessen Ende vor Jahren gekommen schien, sitzt wieder fest im Sattel.

Und dennoch kennt der Krieg fast nur Verlierer. Dazu zählen nicht nur die Gegner der Regierung, sondern auch deren Anhänger. Ost-Aleppo mögen sie wieder kontrollieren, doch von dem früheren Glanz der Stadt ist kaum etwas geblieben. Große Teile der Altstadt mit der weltberühmten Zitadelle und der Umayyaden-Moschee – Weltkulturerbe der Unesco - sind zerstört. Auch Wochen nach dem Sieg der Regierungstruppen ist an ein normales Leben kaum zu denken, vor allem nicht in Ost-Aleppo.

Das weiß auch Jassin Safi, der über Jahre auf der anderen Seite der Stadt lebte, dorthin aber ungeachtet der Zerstörung in Al-Schaar nicht zurückkehren möchte. «Trotz der Schwierigkeiten bleibt das hier die bessere Wahl, als etwas im Westen zu mieten», sagt er.

Die UN schätzen, dass mindestens 1,3 Millionen Menschen im zerstörten Aleppo leben, darunter 400.000 Vertriebene. Seit Wochen fließt praktisch kein Strom mehr durch die Netze der Stadt, auch die Wasserversorgung ist unterbrochen, weil die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) bis vor Kurzem ein wichtiges Pumpwerk östlich von Aleppo kontrollierte. «Jeder ist abhängig von Wassertanks und Generatoren, sagt Jassin Safi. Laster bringen täglich Wasser in die Stadt. Die vielen Vertriebenen können nur überleben, weil sie täglich von Hilfsorganisationen mit warmen Mahlzeiten versorgt werden.

[embed:render:embedded:node:26143]Rund 80.000 Menschen leben jetzt laut dem Internationalen Roten Kreuz (IKRK) in den Trümmern Ost-Aleppos, einst Heimat von mehr als einer Million Syrern. «Die Not dieser Rückkehrer ist nicht vorbei», sagt IKRK-Sprecherin Ingy Sedky. Einige Familien seien in ausgebombten Gebäuden untergekommen. «Das setzt sie und ihre Kinder einer großen Gefahr aus.» In Ost-Aleppo gibt es keine Bäckereien oder Kliniken.

Syriens Regierung hat angefangen, die Trümmer zu beseitigen. Seit der Einnahme Ost-Aleppos durch die Armee sei viel erreicht worden, sagt Wohnungsbauminister Hussein Arnus. Trotzdem fällt es Syrien schwer, die Aufräumarbeiten voranzutreiben. Das Land und seine Ressourcen sind nach sechs Jahren Krieg ausgelaugt, das gilt auch für die Finanzen der Regierung. Unterstützung für den Wiederaufbau aus dem Ausland bekommt sie offensichtlich nicht. «Bis jetzt haben wir von keinem Geber Hilfe bekommen», sagt der Chef von Aleppos Stadtrat, Aiman Hallak. «Alles, was wir erhalten haben, kam von der Regierung.»

Die Aufräumarbeiten dürften noch Jahre in Anspruch nehmen, auch weil unter den Trümmern Gefahren lauern. Vertreter der Regierung behaupteten, «Terroristen» hätten vor dem Abzug in Aleppo Sprengfallen gelegt. In einem vor Kurzem veröffentlichten UN-Bericht heißt es hingegen, die von Syrien und seinem Verbündeten Russland eingesetzte Streumunition habe eine große Zahl an Blindgängern zurückgelassen.

Assad hat zwar seine Macht gesichert, längst aber hängt sein Schicksal von den Verbündeten Russland und Iran ab, die massiven Einfluss im Land besitzen. Ohne Moskaus Luftunterstützung und die von Teheran finanzierten Milizen könnte die Armee wohl kaum noch eine Schlacht gewinnen. Wie viel Macht Assad selbst über die die Hauptstadt Damaskus hinaus in den Regierungsgebieten noch besitzt, ist fraglich. Aleppo jedenfalls hat er bislang nicht besucht. (dpa)

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