Triumphator im Syrien-Krieg - Putin empfängt Erdogan in Sotschi

Wie keiner sonst hält Kremlchef Putin im Syrienkrieg die Fäden in der Hand - während der Westen Zuschauer bleibt. Russland unterstützt nicht nur die umstrittene türkische Invasion im Norden des Landes. Für Moskau ergeben sich vor allem gleich mehrere Vorteile. Von Ulf Mauder

Wenn Kremlchef Wladimir Putin und sein türkischer Kollege Recep Tayyip Erdogan sich in Sotschi wiedersehen, können sie als entschlossene Kriegsherren Einklang demonstrieren. Die Russen haben Erdogan im Gegensatz zum Westen von Anfang an bei seinem umstrittenen Einmarsch in die Kurdengebiete Nordsyriens unterstützt.

Die beiden Staatschefs spielen im Syrienkonflikt seit langem über Bande, obwohl sie unterschiedliche Interessen verfolgen. Das dürften sie auch an diesem Dienstagnachmittag am Schwarzen Meer unter Palmen einmal mehr der Weltöffentlichkeit zeigen - bevor am Abend die Feuerpause im Norden des Landes ausläuft.

Die Russen sehen sich im Syrienkonflikt aktuell einmal mehr als die ordnende Hand, die über jede Form von Bewegung in Syrien entscheidet. Jüngst reiste Putin auch das erste Mal seit Jahren wieder nach Saudi-Arabien und in die Vereinigten Arabischen Emirate, um für einen Neuanfang in Syrien zu werben. Russlands Ziel ist es, den umstrittenen syrischen Machthaber Baschar al-Assad zurück an den Tisch der Arabischen Liga zu bringen.

Ein Geschenk für die Russen war, dass die US-Truppen nun zu großen Teilen vom Grenzgebiet abgezogen sind. Moskau hatte dies immer wieder gefordert. Damit wurde der Weg frei für den türkischen Einmarsch, den Deutschland als Völkerrechtsbruch verurteilt. Die Russen unterstützen ausdrücklich Erdogans Ziel, dort eine mehr als 30 Kilometer breite und Hunderte Kilometer lange Sicherheitszone auf syrischer Seite an der Grenze zur Türkei zu schaffen. Dort will die Türkei Millionen syrischer Flüchtlinge unterbringen.

Auf diese Weise ebnete Moskau als Schutzmacht der Führung in Damaskus auch den Weg für einen Vormarsch syrischer Truppen in den Norden. Die Russen zwangen die Kurden auch in einen Dialog mit der syrischen Regierung, weil sie sich nach dem US-Abzug schutzlos den Türken ausgeliefert fühlten. Für die seit langem geforderten direkten Gespräche stellte Russland seine Militärbasis bereit.

Die syrischen Truppen konnten nicht nur Gebiete zurückerobern. Sie - und damit auch Russland - erhalten so erstmals wieder Zugriff auf die immensen Ölressourcen der Region. Dabei passen die Russen in der Region mit großen Patrouillen nun vor allem darauf auf, dass Türken und Syrer nicht ernsthaft aneinander geraten.

Russland sei inzwischen der einzig echte Machtfaktor in der Region, meint der Moskauer Außenpolitik-Experte Fjodor Lukjanow. Der Kreml ernte jetzt die Früchte seiner beharrlichen Linie und biegsamen Diplomatie. Moskau habe sich nicht auf Allianzen eingelassen, sondern vielmehr mit allen geredet und pragmatisch auf Situationen - besonders auf die Fehler anderer - reagiert, analysiert er.

Vor allem aber im russischen Militäreinsatz sieht der Politologe den Erfolg der Operation. «Die Kombination von Stärke und geduldiger Diplomatie haben Effekte erzielt, die viele nicht für möglich gehalten haben.»

Bei aller Vorsicht und Unsicherheit der unberechenbaren Entwicklung sieht mancher in Moskau Gründe zum Triumphieren. Der Abzug der US-Truppen ist für Moskau ein weiterer Etappensieg für den Machterhalt Assads. Putin hatte schon vor Jahren nach den Chemiewaffeneinsätzen in Syrien den US-Präsidenten - damals Barack Obama - von einer militärischen Intervention abgebracht.

Gelegen kommt Russland zudem, dass das Nato-Mitglied Türkei einmal mehr auf Konfrontation zum Westen geht. Erdogan hatte sich zuletzt gegen den Widerstand der USA und trotz Kritik der Nato für den Kauf russischer Luftabwehrsysteme des Typs S-400 entschieden. Moskaus Vizepremier Juri Borissow meinte mit Blick auf das Sotschi-Treffen am Dienstag, dass die Türkei weitere Waffen kaufen könnte, darunter Kampfjets der Typen Suchoi Su-35 und Su-57.

In jedem Fall aber soll sich die Türkei auch künftig auf Russland als Partner verlassen können. Putin dürfte bei dem Treffen mit Erdogan zwar erneut auf Russlands Sorgen hinweisen. Sie drehen sich vor allem darum, dass im Zuge der Kämpfe in den Kurdengebieten gefährliche Islamisten aus den Gefangenenlagern in Freiheit kommen. Die beiden Staatschefs haben aber in ihren vielen Telefonaten versichert, dass es nun vorwärts gehen solle. Sie bestehen darauf, dass das neue Komitee für Verfassungsreformen in Syrien - mit den Kräften Assads und der Opposition - wie geplant am 30. Oktober in Genf zusammentritt.

Auf der Hand liegt außerdem, dass Putin sein «Syrien-Projekt» möglichst bald beenden will. Angesichts der Wirtschaftskrise in Russland gibt es russischen Medien zufolge kaum noch Verständnis in der Bevölkerung für die Militärpräsenz in Syrien. Wie die Zeitung «Nesawissimaja Gaseta» berichtete, wird Russland schon im kommenden Jahr sparen - mit «dem bescheidensten Verteidigungsbudget seit zehn Jahren». (dpa)