Teherans Speerspitze: Wie die Hisbollah in Nahost Einfluss ausübt

Deutschland hat gegen die schiitische Hisbollah ein Verbot erlassen. Doch die Organisation bleibt mächtig. Im Libanon kontrolliert sie einen Staat im Staat. Und ihr Arm reicht noch sehr viel weiter. Von Jan Kuhlmann

Die hohen Hisbollah-Vertreter treten nur selten in der Öffentlichkeit auf, und wenn, dann spricht meistens der Chef persönlich. Aus Sorge um sein Leben zeigt sich Hassan Nasrallah der Welt allerdings nur auf dem Bildschirm. Bei wichtigen Reden versammeln sich seine Anhänger im Libanon auf Straßen oder Plätzen, um ihm gemeinsam zuzuhören. Wenn die Ansprache vorbei ist, haben sie innerhalb von Minuten alles wieder aufgeräumt. Die Hisbollah ist auch für die Disziplin und den Gehorsam ihrer Anhänger bekannt.

International aber sieht sich die schiitische Organisation aus dem Land am Mittelmeer vor allem dem Vorwurf ausgesetzt, Terror zu unterstützen. Deutschland erließ in dieser Woche ein Betätigungsverbot für die Hisbollah, die USA und Israel applaudierten umgehend. Die beiden Staaten bekämpfen Nasrallah und seine Anhänger seit langem. Vor allem Israel sieht die Organisation als Bedrohung an, weil sie das Existenzrecht des Nachbarlandes bestreitet.

Zugleich aber ist die Hisbollah («Partei Gottes») ein zentraler Verbündeter des israelischen Erzfeindes Iran. Der schiitische Staat nutzt die Organisation als Speerspitze, um sich Einfluss nicht nur im Libanon selbst, sondern auch in anderen arabischen Ländern zu sichern, vorneweg in Syrien und im Irak.

So hat sich der bewaffnete Arm der Hisbollah zu der wohl mächtigsten Miliz in der Region entwickelt. Im syrischen Bürgerkrieg hat sie mit dem Einsatz ihrer Kämpfer maßgeblich geholfen, die Regierung an der Macht zu halten. Basis dafür ist der Libanon, wo die Hisbollah in den 1980er Jahren entstand und sich auf den Kampf gegen die israelische Besatzung im Süden des Landes konzentrierte.

Doch die Hisbollah ist mehr als eine Miliz. Sie ist auch eine politische Partei und ein soziales Netzwerk. Mittlerweile regiert sie im Libanon über einen Staat im Staate. Die Organisation kontrolliert ganze Gebiete, etwa viele - arme - Viertel im Süden der Hauptstadt Beirut, in der Bekaa-Ebene im Osten, aber auch den Süden des Libanon, der direkt an Israel grenzt.

Politisch läuft in dem kleinen Land mit rund sechs Millionen Menschen praktisch nichts gegen die Hisbollah. Sie hält sich zwar häufig im Hintergrund, ist aber als maßgeblicher Akteur an der Regierung beteiligt und hat Vertreter im Parlament. Der libanesische Analyst Makram Rabah, ein Hisbollah-Kritiker, geht sogar so weit zu sagen, dass sie die Regierung «besitzt». Zu ihren Koalitionspartnern gehören auch christliche Politiker, wie etwa der einflussreiche Dschibran Bassil, Ex-Außenminister und Schwiegersohn von Präsident Michel Aoun.

Auch wirtschaftlich hat die Hisbollah großen Einfluss. So heißt es unter anderem, die Organisation kontrolliere Beiruts Flughafen. Sie verfügt zudem über große Sozial- und Wohlfahrtsnetzwerke. Ideologisch folgt die Organisation in unzerbrechlicher Treue dem Iran und seinem obersten Führer Ayatollah Ali Khamenei. Zum Kern der Hisbollah-Weltsicht gehört die feindselige Haltung gegenüber dem Nachbarn Israel, gegen den Nasrallah immer wieder mit Drohungen Stimmung macht. Bei Aufmärschen im Libanon rühmen sich die Hisbollah-Anhänger als «islamischer Widerstand» und stimmen «Tod für Israel»-Rufe an. Zuletzt kam es 2006 zu einem erbitterten Krieg mit dem Nachbarn, bei dem die Hisbollah unzählige Raketen auf Israel abfeuerte.

Mit hohen Millionen-Summen trägt Teheran maßgeblich zur Finanzierung der Hisbollah bei. In einer Rede vor vier Jahren räumte deren Generalsekretär Nasrallah freimütig ein: «Das Budget der Hisbollah, ihre Einnahmen, ihre Ausgaben, ihr Essen, ihre Getränke, ihre Waffen, ihre Raketen kommen aus der Islamischen Republik im Iran.»

Die Organisation sieht sich zudem dem Vorwurf ausgesetzt, in kriminelle Machenschaften verstrickt zu sein. Mehrfach gab es Berichte, sie arbeite mit südamerikanischen Drogenkartellen zusammen. Im Libanon wird offen erzählt, dass die Hisbollah auch den blühenden Cannabis-Anbau in der Bekaa-Ebene kontrolliert.

Doch die Hisbollah leidet, nicht zuletzt wegen der US-Sanktionen gegen den Iran, aber auch gegen sie selbst. So musste die libanesische Jammal Trust Bank wegen der Strafmaßnahmen schließen, nachdem Washington ihr im vergangenen Jahr vorgeworfen hatte, der Hisbollah maßgeblich Bankaktivitäten zu ermöglichen. Zudem setzt derzeit Libanons massive Wirtschafts- und Finanzkrise - inklusive der Corona-Pandemie - der Organisation und ihren Anhängern zu.

Auch das Betätigungsverbot in Deutschland dürfte sie treffen. Analyst Rabah von der Amerikanischen Universität in Beirut etwa ist überzeugt, dass die Hisbollah so einer Möglichkeit beraubt wird, schmutziges Geld zu waschen. «Man sollte nicht unterschätzen, wie das Finanznetzwerk dadurch beeinträchtigt wird», sagt er.

Die Hisbollah-Anhänger zeigen sich jedoch unbeeindruckt. «Wer in Amerika darauf setzt, dass die Sanktionen die Identität der Partei (Gottes) oder ihr Verhalten bedrohen, täuscht sich», sagt Scheich Sadik Nabulsi, ein Analyst aus dem Umfeld der Organisation. Die Hisbollah selbst hat sich bisher nicht zum Verbot in Deutschland geäußert. Ihre Mitglieder warten auf die nächste Rede Nasrallahs. (dpa)