Syrische Flüchtlinge im Libanon in ständiger Angst vor Abschiebung in ihre Heimat

Beirut. Seit Samer und sein Bruder 2011 aus Syrien in den Libanon geflüchtet sind, haben sie sich trotz aller Entbehrungen und Anfeindungen in dem Nachbarland wenigstens sicher gefühlt. Bis jetzt. Denn völlig überraschend stand in der vergangenen Woche die Armee vor der Wohnungstür von Samers Bruder in einem Vorort von Beirut und nahm die ganze Familie fest. Samers Bruder, dessen Frau und Kinder wurden nach Syrien abgeschoben.



Nach Angaben von Vertretern humanitärer Organisationen hat die libanesische Armee in den vergangenen Wochen bereits 450 Syrer festgenommen und mindestens 66 abgeschoben. Laut Amnesty International droht den Abgeschobenen zu Hause "Folter und Verfolgung".



Schätzungsweise zwei Millionen Syrer sind seit Beginn des Bürgerkriegs in den Libanon geflüchtet, rund 830.000 von ihnen sind bei der UNO registriert. Vor einigen Wochen begann die libanesische Armee verstärkt, Flüchtlinge festzunehmen und zurück nach Syrien zu bringen. Gleichzeitig nimmt in dem von einer extrem schweren Wirtschaftskrise gebeutelten Libanon die Fremdenfeindlichkeit zu.



Samer, der wie alle von AFP befragten syrischen Flüchtlinge zur Sicherheit einen falschen Namen angibt, sagt über seinen abgeschobenen Bruder: "Unsere größte Angst ist, dass er verschwinden könnte und dass wir nie wieder von ihm hören." Sein Bruder sei sofort nach der Ankunft in Syrien festgenommen worden und seither habe er nichts mehr von ihm gehört. "Wir haben jetzt Angst, dass es uns genauso ergehen wird", sagt der 26-Jährige. Samer und sein Bruder hatten 2011 an den Protesten gegen den syrischen Machthaber Baschar al-Assad teilgenommen, deren Niederschlagung den Bürgerkrieg ausgelöst hatte.



Seit die syrische Regierung die meisten Teile des Landes wieder unter ihre Kontrolle gebracht hat, verlangen die libanesischen Behörden, dass die syrischen Flüchtlinge nach Hause zurückkehren, obwohl Damaskus sich weigert, sie wieder aufzunehmen. Libanesische Politiker machen die Syrer für die Verschlimmerung der seit 2019 herrschenden Wirtschaftskrise verantwortlich, die das Land an den Rand des Ruins geführt hat. Sozialminister Hector Hadschar warnte kürzlich vor "gefährlichen demografischen Veränderungen", die Libanesen "zu Flüchtlingen im eigenen Land" machen würden.



Einige Gemeinden haben über die Jahre Maßnahmen gegen Syrer erlassen - etwa eine nächtliche Ausgangssperre. Internetnutzer stellen sie als Kriminelle dar. Libanesische Medien propagieren die Idee, dass syrische Flüchtlinge großzügige Hilfen der UNO erhalten, während die Libanesen wegen des Währungsverfalls im Elend leben müssten. Laut UNHCR erhalten nur 43 Prozent der registrierten syrischen Flüchtlinge finanzielle und materielle Hilfen. "Eine Familie in Not erhält höchstens acht Millionen libanesische Pfund (umgerechnet 80 Dollar) im Monat", sagte ein Sprecher.



Seit die Armee verstärkt gegen Syrer vorgeht, trauen sich viele Flüchtlinge nicht mehr auf die Straße. Der 32-jährige Abu Salim erzählt, dass er mit 20 Landsleuten in einem Lagerhaus bei seiner Arbeit schläft, "denn wir haben Angst, verhaftet zu werden". Da er schon sechs Jahre in Syrien im Gefängnis saß, fürchtet er die Abschiebung mehr als alles andere. "Wenn sie mich einsperren, komme ich da nicht mehr raus", sagt er.



Ammar, der aus der syrischen Armee desertiert ist, bleibt ebenfalls nur noch zu Hause. Ihn beunruhigt die anti-syrische Stimmungsmache in den Online-Medien im Libanon. "Warum der ganze Hass? Womit haben wir das verdient? Wir sind nur geflohen, um dem Tod zu entrinnen", klagt der 31-jährige Vater eines Neugeborenen. Wie anderen Syrern oder auch Libanesen, die der Armut entkommen wollen, bleibt Ammar noch der Weg nach Europa - mit dem Risiko, im Mittelmeer zu ertrinken. "Ich sterbe lieber, als dass ich nach Syrien zurückkehre."