Syrien-Waffenruhe am Abgrund - letzte "Hoffnung" Putin?

Über Wochen sah es danach aus, als könnte Syrien tatsächlich den Weg in Richtung Frieden einschlagen. Dann eskalierte die Gewalt erneut. Die Waffenruhe steht vor dem Scheitern. Die Friedensgespräche stecken in einer Sackgasse. Der UN-Vermittler greift zum letzten Mittel. Von Benno Schwinghammer und Thomas Körbel

Fragen nach der Waffenruhe in Syrien lösen in der Region um Aleppo nur noch Kopfschütteln aus. «Die Feuerpause ist seit drei Wochen vorbei», sagt der Arzt Abu al-Is, der in der heftig umkämpfen Großstadt Verwundete versorgt. Krankenhäuser würden angegriffen, Menschen würden in Angst aus der Stadt fliehen. «Das Regime und ihre Verbündeten haben die Waffenruhe gebrochen», sagt er.

Noch vor wenigen Wochen sah es nach dem vielversprechendsten Anlauf für Frieden in dem Bürgerkriegsland aus. Mitglieder des Teams von UN-Vermittler Staffan de Mistura erwarteten, die dritte Runde der neuen Syrien-Gespräche in Genf werde ein «wesentlich größeres Selbstverständnis» im Umgang der Konfliktparteien bringen. In der Nacht zum Donnerstag dann trat De Mistura vor die Kameras: Die Waffenruhe sei «in großer Gefahr» und könne «jederzeit kollabieren».

Deshalb appelliert der UN-Diplomat an die beiden Großmächte USA und Russland, «auf höchster Ebene» für Ruhe zu sorgen. Moskau und Washington waren es auch, die die zunächst überraschend stabile Waffenruhe im Februar gemeinsam ausgehandelt hatten.

Schon Tage zuvor war die Opposition aus Protest gegen die anhaltende Gewalt vor allem in Aleppo ins Flugzeug gestiegen. «Für uns war die Waffenruhe schon vorbei, als wir die Friedensgespräche in Genf verließen», sagt Oppositionsvertreter George Sabra.

Von einer Annäherung mit dem Regime um den syrischen Machthaber Baschar al-Assad war bei den Verhandlungen schon zuvor nichts zu spüren gewesen. Die Delegationen sprachen nicht einmal direkt miteinander. Wann es bei den Friedensgesprächen in Genf weitergeht, steht in den Sternen. De Mistura wird in der kommenden Woche in Russland erwartet, wie aus diplomatischen Kreisen in Moskau verlautet.

Der russische Präsident Wladimir Putin macht sich mit einem neuen Vorstoß im UN-Sicherheitsrat dafür stark, die beiden islamistischen Rebellentruppen Dschaisch al-Islam und Ahrar al-Scham als Terrorgruppen ächten zu lassen. Weil der Dschaisch-Vertreter Mohammed Allusch aber ein ranghoher Unterhändler der Regimegegner ist, könnte dies die Friedensgespräche in Genf weiter unter Druck setzen.

Seit dem Kriegseintritt Russlands im Herbst wähnt sich das Assad-Regime militärisch überlegen. Die Regierungstruppen eroberten Gebiete zurück und schafften zuletzt einen wichtigen Sieg über die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in der historischen Oasenstadt Palmyra.

Warum nun also mitten im Erfolg aufhören? Das Verhalten des Regimes in Aleppo passt dem Experten Fabrice Balanche vom Washington Institute zufolge zur Taktik, die Nachschubrouten der Gegner abzuschneiden. Die Zivilisten sollen mit Gewalt aus dem zwischen Regime und Rebellen geteilten Aleppo gezwungen werden. «Aus diesem Grund setzt Baschar al-Assad schamlos bedauerliche Taktiken inmitten einer angeblichen Waffenruhe fort.»

Aleppo gilt als wichtigstes Schlachtfeld in dem mehr als fünf Jahre dauernden Bürgerkrieg, der Hundertausende Menschen getötet und Millionen zur Flucht gezwungen hat. Wenn Assad es hier schafft, den Nachschub seiner Gegner zu kappen, wäre seine Verhandlungsposition abermals gestärkt. Eine Eroberung der Stadt würde näher rücken.

Doch nicht nur das Schicksal Aleppos ist zentral für die Entwicklung des Krieges, sondern auch das des Machthabers. Selbst wenn die Genfer Gespräche wieder in Schwung kommen, bleibt die Kernfrage: «Was geschieht mit Assad?». Hier könnten die Fronten kaum verhärteter sein. Die Regimeseite verweigerte jegliche Verhandlungen - für die Opposition dagegen ist klar: Assad muss gehen.

Ein Ende der Schreckensmeldungen, wie am Donnerstag die nach einem Angriff auf ein Krankenhaus in Aleppo, geht nur mit Hilfe Russlands. Experten halten Putin für den Einzigen, der durch Druck auf seinen Verbündeten Assad die Gewalt - die auch von Rebellenseite ausgeht - beenden kann. Die russische Führung dringt in öffentlichen Auftritten darauf, dass nur politische Verhandlungen Frieden bringen können.

Doch an seiner Waffenhilfe für das Bürgerkriegsland hält sie fest. Für Putin ging es bei der Militärintervention auch darum, politisch «auf die Weltbühne zurückzukehren», wie der Politologe Dmitri Trenin vom Carnegie Centre schreibt. Fraglich ist, wie groß die Bereitschaft Moskaus ist, seine Macht nun auch für eine Deeskalation einzusetzen. (dpa)