Suche nach Schutz: Syrer fliehen an Grenze zu Israel und Jordanien

Nach massiven Angriffen der Regierungstruppen im Süden Syriens sind Zehntausende geflohen. Israel und Jordanien versuchen, den Menschen in Not zu helfen - halten aber ihre Grenzen geschlossen. Von Stefanie Järkel und Nehal El-Sherif

Der Himmel wölbt sich strahlend blau über die weißen und grünen Zelte neben dem syrischen Dorf Birajam. Rund ein Dutzend der Behausungen stehen zwischen hohen Bäumen, gut sichtbar von dem nur Hunderte Meter entfernten Zaun an der israelischen Grenzlinie. «In den vergangenen zwei Wochen haben wir hier viele Menschen gesehen, die humanitäre Hilfe brauchen», sagt Tomer Koler, Sanitätsoffizier der israelischen Armee auf einem Hügel mit Blick auf das syrische Grenzgebiet. Bisher befänden sich dort bis zu 15.000 Flüchtlinge.

Mehr als 320.000 Menschen waren wegen der Bombardierungen und Luftangriffe im Süden Syriens in den vergangenen zwei Wochen zweitweise nach UN-Angaben geflohen. Die meisten davon in Richtung Golanhöhen, in der Hoffnung, nahe der israelischen Grenze den Bombardements zu entkommen. Andere drängten sich an der geschlossenen Grenze zu Jordanien. Beide Länder wollen den Menschen zwar helfen - aber keinen der Flüchtlinge ins Land lassen. Israel hatte die syrischen Golanhöhen 1967 erobert und später annektiert.

Die syrischen Regierungstruppen hatten Ende Juni mit russischer Unterstützung ihre Offensive im Süden Syriens begonnen. Am Freitag einigten sich die syrischen Rebellen mit russischen Militärs auf ein Ende der heftigen Kämpfe um die Provinzhauptstadt Daraa. Zehntausende seien seitdem in ihre Häuser zurückgekehrt, berichten Aktivisten.

Doch viele haben immer noch Angst vor den Truppen von Machthaber Baschar Al-Assad - und harren weiter im Grenzgebiet aus. Der Syrer Mohamed Hariri fordert Israel auf, seine Grenzen zu öffnen oder sich um internationalen Schutz in dem Gebiet zu bemühen. Er ist vor zwei Wochen aus der Region um Daraa geflohen. Der 29-Jährige lebt jetzt im Zeltlager Al-Barika an der Grenze zu Israel, wie er am Telefon erzählt.

Die massiven Luftangriffe seien von Dorf zu Dorf gegangen. «Da ist uns klar geworden, dass der sicherste Ort für uns die Grenze zu Israel ist», sagt der Vater eines Sohnes, seine Frau erwarte noch im Sommer das zweite Kind. Israel sei ein starkes Land. «Niemand kann Israel angreifen», ist sich Hariri sicher.

Israel selbst pocht währenddessen auf die Einhaltung des 1974 mit Syrien geschlossenen Waffenstillstandsabkommens. Dazu gehört eine entmilitarisierte Zone an der Grenze zu Israel. «Wir werden daran sehr strikt festhalten, und das müssen auch andere, jeder», sagt Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu.

Für die israelische Armee ändert sich auch vorerst nichts bei ihrem Hilfsprogramm «Gute Nachbarschaft». «Es ist schwer, daneben zu stehen und nichts zu tun», sagt Koler über einen Grund der Israelis für ihre Hilfe. Bereits seit zwei Jahren bringe die Armee regelmäßig Essen, Medizin, Stromgeneratoren und Treibstoff zu den Gemeinschaften im Grenzgebiet - mittlerweile fast jede Nacht. Allein in den Dörfern dort lebten etwa 50.000 Menschen.

Ende Juni brachte die Armee nach eigenen Angaben in einer Nacht 300 Zelte, 13 Tonnen Nahrung, 15 Tonnen Babynahrung, Medikamente sowie 30 Tonnen Kleidung und Schuhe auf die andere Seite der Grenzlinie. Doch die humanitäre Hilfe hat für Israel auch einen klaren Sicherheitsaspekt. In den vergangenen Jahren seien 80 Prozent des syrischen Grenzgebietes zu Israel von Rebellengruppen kontrolliert worden, sagt Assaf Orion vom Institut für Sicherheitsstudien in Tel Aviv. Nur im Norden hätten sich Regierungstruppen befunden, im Süden die Terrormiliz Islamischer Staat (IS).

Schon früh habe Israel festgestellt, dass die syrische Regierung die Rebellen von der Versorgung mit Essen, Strom und Wasser abschneide. Israel habe daraufhin mit den Gemeinschaften im Grenzgebiet eine Vereinbarung geschlossen: «Wir werden die Logistik bieten, Decken, Medizin, Essen, und sie werden dafür sorgen, dass es von ihrem Gebiet keine Angriffe auf Israel geben wird - keine Angriffe von den Iranern, keine von der Hisbollah und keine von syrischen Sunniten auf syrische Drusen», sagt Orion. «Und tatsächlich zeigen alle jahrelangen Statistiken von Attacken auf Israel, dass fast keine von den von Rebellen kontrollierten Gebieten kamen.»

Die Syrerin Manal hat es über die Grenze nach Jordanien geschafft - allerdings nur für begrenzte Zeit. Ihren Nachnamen will sie nicht sagen. Sie ist eine von 35 syrischen Patienten, die im Ramta Krankenhaus im Norden Jordaniens behandelt werden. Sie liegt in ihrem Bett mit einer Kanüle in der Hand. Die Syrerin muss an der Gallenblase operiert werden und ist zu schwach, um zu sprechen.

Nach der Behandlung muss Manal wieder zurück nach Syrien. Auch Israel hat in den vergangenen Jahren nach eigenen Angaben Tausende verletzter Syrer im eigenen Land behandelt und danach wieder zurückgeschickt.

Manals Cousine Fadwa Kteifat erzählt, dass sie mehr als vier Stunden für die zwölf Kilometer von der Altstadt von Daraa bis zum Krankenhaus gebraucht hätten. Die jordanischen Sicherheitsbehörden hätten sie über die Grenze gelassen. «Selbst die Feldkrankenhäuser sind getroffen worden, die Ärzte verbinden Wunden nur noch», sagt Kteifat. Und der Weg nach Damaskus sei mittlerweile abgeschnitten.

Die Angriffe im Süden Syriens waren noch in Ramta zu hören, wie Bewohner erzählen. Sie würden fast jede Nacht voller Angst vom Klang der Explosionen aufwachen. Andere berichten, ihre Fenster klirrten.

Jordanien hat nach eigenen Angaben 1,3 Millionen syrische Flüchtlinge aufgenommen - eine große Belastung. Das arme Königreich fürchtet den Kollaps, sollte eine neue Flüchtlingswelle kommen. Israel weist die Aufnahme von syrischen Flüchtlingen grundsätzlich zurück.

Die israelische Armee hat angesichts der instabilen Lage vor rund einer Woche weitere Truppen auf die Golanhöhen verlegt. Israel befürchtet, iranische Kräfte könnten bis an seine Grenze vorrücken, sollte die syrische Regierung die Region erobern. Der Iran ist ein Verbündeter von Syriens Präsident Assad und gilt als Erzfeind Israels. Sanitätsoffizier Tomer Koler sagt: «Die israelische Armee bereitet sich auf jede Situation vor.» (dpa)