Studie: Schätzungsweise 600.000 Flüchtlinge schwer traumatisiert

Drei von vier Flüchtlingen aus Syrien, Afghanistan und dem Irak sind psychisch und körperlich belastet durch traumatische Gewalterfahrungen. Das ist der ersten bundesweiten Studie zum gesundheitlichen Zustand von Schutzsuchenden in Deutschland zu entnehmen, die dem Berliner "Tagesspiegel" (Dienstag) vorliegt. Hochgerechnet sind das mehr als 600.000 der knapp 1,5 Millionen Flüchtlinge, die seit 2015 hier einen Erstantrag auf Asyl gestellt haben. 58 Prozent dieser Menschen seien sogar mehrfach traumatisiert.

Bei der Befragung, deren Ergebnisse der Wissenschaftliche Dienst der AOK am heutigen Dienstag veröffentlichen will, berichteten 74,7 Prozent von persönlichen Gewalterfahrungen. Bei mehr als 60 Prozent der Traumatisierten waren das Kriegserlebnisse, bei mehr als 40 Prozent direkte Angriffe durch Bewaffnete. Mehr als jeder Dritte erlebte die Verschleppung oder Ermordung nahestehender Personen. Jeder Fünfte wurde gefoltert.

Weiter hieß es, 16 Prozent seien Zeugen von Tötung, Misshandlung und sexuelle Gewalt gewesen, über sechs Prozent Opfer von Vergewaltigung. Die Gewalterfahrungen hätten "gravierenden Einfluss" auf die Gesundheit der Betroffenen, heißt es in der Studie. Im Vergleich zu Geflüchteten ohne solche Erlebnisse seien bei ihnen psychische und körperliche Beschwerden mehr als doppelt so häufig. Anzeichen einer depressiven Erkrankung zeigten mehr als zwei Fünftel aller Befragten.

Die Autoren der Studie fordern mehr Hilfsangebote für die Betroffenen. Das sei eine ebensolche humanitäre Pflicht wie Unterkunft, ordentliche Verpflegung oder Schulunterricht für Flüchtlingskinder, sagte der Vize-Geschäftsführer des AOK-Instituts, Helmut Schröder dem "Tagesspiegel". Gleichzeitig betonte er, dass nicht jeder Traumatisierte psychotherapeutische Einzelbehandlung benötige. Entlastend wirkten auch Gesprächsgruppen, Betreuung durch Ehrenamtliche oder durch selber geflohene Ärzte.

Der Anteil an chronisch Kranken dagegen ist unter den Geflüchteten nicht halb so groß wie in der deutschen Bevölkerung. Auch ihr Alkoholkonsum ist deutlich geringer. Dafür rauchen sie mehr und treiben weniger Sport. Allerdings haben nur zwei von drei Befragten in den letzten sechs Monaten einen Mediziner aufgesucht. Das liegt nicht nur an bürokratischen Hemmnissen, sondern auch an Sprachproblemen. Mehr als jeder Zweite berichtete von Schwierigkeiten, sich bei Ärzten verständlich zu machen oder überhaupt eine Anlaufstelle für medizinische Hilfe zu finden. (KNA)