Streit um Asyl: Wie sicher sind die Maghreb-Staaten?

Die Parteien debattieren heftig über die Einstufung von Tunesien, Marokko und Algerien als «sichere Herkunftsländer». Am Freitag sollte sich der Bundesrat eigentlich mit dem Thema befassen. Daraus wird wohl nichts. Doch wie ist die Lage in den Maghreb-Staaten wirklich? Antworten von Anne-Beatrice Clasmann

Ein Karikaturist muss ins Gefängnis, weil er den Präsidenten mit Sand auf dem Kopf in einer Eieruhr gezeichnet hat. Zwei Männer werden wegen eines Kusses festgenommen. In puncto Meinungsfreiheit und Menschenrechte sind Algerien, Marokko und Tunesien sicher keine Vorbilder. Dennoch: Die staatliche Verfolgung hat in diesen drei islamisch geprägten Staaten in den vergangenen Jahrzehnten insgesamt deutlich nachgelassen.

Die Bundesregierung will die drei Maghreb-Länder jetzt als «sichere Herkunftsländer» einstufen. Dann könnten Asylbewerber schneller dorthin zurückgeschickt werden. Damit das Vorhaben den Bundesrat passieren kann, bräuchten Union und SPD die Zustimmung von drei Ländern mit Regierungsbeteiligung der Grünen, bei denen es großen Widerstand gibt.

Fest steht auf jeden Fall, dass Deutschland für politische Exilanten aus Nordafrika nicht unbedingt das Ziel der Wahl ist. Sie sprechen meist Französisch und suchen eher Anschluss an die maghrebinischen Exil-Gemeinden in Frankreich oder Belgien. Schon jetzt scheitern in Deutschland fast alle Asylanträge von Tunesiern, Algerien und Marokkanern. Denn viele von ihnen kommen aus wirtschaftlichen Gründen. Einige stellen gar keinen Asylantrag und hoffen einfach, dass es lange dauern wird bis zur Abschiebung.

TUNESIEN hat als bisher einziges Land nach der «Arabellion» von 2011 den Übergang zur Demokratie geschafft. Oppositionelle müssen heute - anders als unter dem früheren Machthaber Zine el Abidine Ben Ali - keine staatliche Verfolgung mehr fürchten. Der Vorsitzende der Tunesischen Vereinigung zur Verteidigung der Menschenrechte, Abdessattar Ben Moussa, sagt: «Es gibt in Tunesien keine systematische Folter durch das Innenministerium.» Sein Land habe seit der Revolution in Sachen Meinungsfreiheit und Pressefreiheit enorme Fortschritte gemacht. Willkür und Misshandlungen in Polizeigewahrsam gibt es aber nach Angaben lokaler Menschenrechtsorganisationen noch immer, da vielerorts noch der «alte Geist» herrscht.

MAROKKO ist ein Land mit großen sozialen Problemen. Journalisten und Blogger, die Korruptionsskandale aufdecken, König Mohammed VI. kritisieren oder von der offiziellen Position zum Westsaharakonflikt abweichen, müssen mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen. Doch ist die Zahl derjenigen, die in Marokko als politisch verfolgt gelten können, nach Einschätzung unabhängiger Beobachter «sehr überschaubar». Die Betroffenen sind meist namentlich bekannt und könnten daher eine Verfolgung im Asylverfahren leicht nachweisen. Mit der finsteren Situation unter dem früheren König Hassan II. ist die heutige Lage nicht zu vergleichen. Der deutsche Botschafter Volkmar Wenzel sagte nach Informationen der «Neuen Osnabrücker Zeitung» kürzlich in Casablanca: «Was immer auch behauptet wird: In Marokko wird nicht gefoltert.»

Als sich Ende 2015 die Berichte über den hohen Anteil Straffälliger unter illegalen Migranten aus Marokko häuften, wandten sich Vertreter marokkanischer Gemeinden aus Deutschland an die Regierung in Rabat. Sie baten sie, den Zustrom dieser problematischen Migranten zu stoppen und die Rückkehr abgelehnter Asylbewerber zu erleichtern. Getrieben waren sie dabei von der Sorge, der Ruf der marokkanischen Einwanderer könne insgesamt leiden.

In ALGERIEN kritisieren Menschenrechtler die lange Untersuchungshaft und die mangelnde Unabhängigkeit der Justiz. Anzeigen wegen Polizeigewalt haben selten Erfolg. Regierungskritische Journalisten müssen mit Schikanen und vorübergehenden Festnahmen rechnen. Im November 2015 wurde der Karikaturist Tahar Djehiche zu sechs Monaten Haft verurteilt. Ihm wurde unter anderem «Beleidigung des Präsidenten» Abdelaziz Bouteflika vorgeworfen. In den Maghreb-Staaten ist HOMOSEXUALITÄT strafbar. Schwulen drohen Haftstrafen von bis zu drei Jahren. Das bedeutet aber nicht, dass es eine systematische staatliche Verfolgung Homosexueller gibt. Vereinzelt kommt es aber immer wieder zu Anklagen, vor allem in Marokko. Im Januar wurden zwei Marokkaner festgenommen, nachdem ein Video, das sie küssend zeigt, im Internet Aufmerksamkeit erregt hatte.

In Tunesien sorgte 2015 die Verurteilung von sechs jungen Männern aus der Stadt Kairouan für Schlagzeilen. Sie waren in erster Instanz zu Haftstrafen verurteilt worden. Der Verurteilung gingen entwürdigende Analuntersuchungen voran. Ein Berufungsgericht bestätigte später die Schuldsprüche, reduzierte aber die Haftzeit, so dass die Angeklagten das Gericht als freie Männer verlassen konnten.

Lesbische Frauen lassen die Behörden in der Regel in Ruhe. Sie leiden jedoch genauso wie schwule Männer oft unter ablehnenden Reaktionen von Familie, Kollegen und Nachbarn. In Tunesien läuft aktuell eine von prominenten Schauspielerinnen unterstützte Kampagne für die Abschaffung des Paragrafen, der Homosexualität unter Strafe stellt.

Dass Nordafrikaner, um nicht abgeschoben zu werden, demnächst massenhaft Homosexualität vortäuschen werden, ist kaum zu erwarten. «Dafür ist die Angst vor Stigmatisierung viel zu groß», sagt der Leiter einer Berliner Flüchtlingsunterkunft.

Von den Gegnern der Einstufung der Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsländer werden oft Gesetze, die FRAUEN diskriminieren, als Argument angeführt. Allerdings kamen im vergangenen Jahr fast nur Männer aus Nordafrika illegal nach Deutschland. (dpa)