Siegerin des Literaturwettbewerbs "Million's Poet": Hissa Hilal aus Saudi-Arabien

"Ich dachte, wenn ich in diesem Jahr nicht teilnehme, werde ich mir diesen Traum nie erfüllen", sagte Hissa Hilal 2010 dem US-Fernsehsender ABC. Weltweit war die damals 43-Jährige aus Saudi-Arabien zu einem Idol für den Emanzipationswillen der Frauen in dem nach rigiden Regeln regierten Königreich geworden. Sie machen  eine gleichberechtigte Teilnahme am gesellschaftlichen Leben unmöglich. Als erste Frau nahm Hissa Hilal am Wettbewerb "Million's Poet" teil - einer arabischen Version von "Deutschland sucht den Superstar" mit rund 70 Millionen Zuschauern. Gesucht wird der beste Poet der Region.

Hissa Hilal beeindruckte nicht nur mit ihrem Mut, in die Männerdomäne einzudringen. Sie riskierte ihr Leben, als sie ihre Gedichte vortrug. Denn sie beschränkte sich nicht auf poetische Verse über Liebe und Schmerz. Ihre Gedichte waren hochpolitisch. Fünf Jahre nach ihrem Erfolg wurde sie jetzt von Stefanie Brockhaus und Andreas Wolff für ihre Dokumentation "Hissa Hilal - Eine Stimme hinter dem Schleier" interviewt und im Alltag begleitet. ARTE hatte den Film am 22. November gezeigt.

Die jungen Filmemacher verbinden die Reflexionen von Hissa Hilal mit Ausschnitten ihrer Auftritte bei der Sendung. Hilal wurde in einer Beduinenfamilie geboren. Mit zwölf Jahren begann sie, Gedichte zu schreiben. Sie absolvierte die High School in Bahrein, wo sie die englische Literatur entdeckte. Ein Studium konnten sich die Eltern nicht leisten.

Hilal arbeitete als Journalistin und Korrespondentin für verschiedene Medien in Saudi-Arabien und der Golfregion. Sie war Redakteurin der Poesie-Spalte bei "al-Hayat" und veröffentlichte eigene Gedichte unter dem Pseudonym Remia. Die Heirat mit einem Kollegen, der ebenfalls Gedichte schreibt, und ihre vier Kinder gaben ihrem Leben Stabilität und ihr die ersehnte künstlerische Freiheit, gestand sie 2011 "The National". Doch ihr Mann verweigerte lange die Erlaubnis, an dem glamourösen Dichterwettstreit teilzunehmen.

Dieser Konflikt wird im Film nicht mal gestreift, die Biografie von Hissa Hilal wird nur in Ansätzen aufgeblättert. Nur ihre Herkunft aus einer Beduinenfamilie wird thematisiert, um den Kontrast zwischen Tradition und Moderne herauszuarbeiten. Beduininnen waren über Jahrhunderte unabhängig und konnten die Entscheidungen über ihre Zukunft unabhängig von den Vorstellungen ihrer Familie und ihrer Männer treffen. Sie verschleierten sich auf Reisen durch die Wüste, damit ihre Haut nicht verbrannt wurde. Heute dürfen Frauen in Saudi-Arabien nur ihre Augen zeigen, auch wenn sie längst in Städten leben. Vor der Kamera achtet Hilal ständig darauf, dass selbst ihre Augenbrauen nicht zu sehen sind.

Auf der Bühne des Saales in Abu Dhabi, wo der Kampf um den mit einem Preisgeld von 1,3 Millionen US-Dollar weltweit höchstdotierten Literaturpreis über mehrere Runden ausgetragen wurde, legte Hilal den Nikab nicht ab, obwohl die Kleiderordnung am Veranstaltungsort wesentlich lockerer ist und die Moderatorin nach westlichen Maßstäben gekleidet war.

Hilal wollte inhaltliche Zeichen setzen. Sie kritisierte mit klaren, einfachen Worten die patriarchale arabische Gesellschaft, attackierte einen einflussreichen Geistlichen aus Saudi-Arabien für seine extremistischen Fatwas und charakterisierte die konservative Auslegung des Korans als barbarisch und blind. Nicht zuletzt kritisierte sie den Versuch, diese rückwärtsgewandte Form des Islam in die arabische Welt zu importieren.

Der Applaus war verhalten, doch die Jury setzte sich sachlich mit ihrem Gedicht auseinander. Vor den Bildschirmen hatte Hilal Millionen Fans gewonnen und sich Tausende Feinde gemacht, die sie mit dem Tod bedrohten. Wie sie mit dieser Gefahr lebt, geht im Film leider etwas unter. Er konzentriert sich auf die Schilderung der absurden Regeln, die den Alltag von Frauen erschweren und die Überwachung ihrer Einhaltung durch strenge Sittenwächter.

Immerhin: Dank des Mutes von Frauen wie Hissa Hilal ist das Königshaus zu Zugeständnissen gezwungen. Und ab 2018 dürfen sie auch selbst ein Auto lenken. (KNA)