Systemkonforme Provokationen

Sherif Arafas "Terror und Kebab" von 1992 gehört zu den wenigen ägyptischen Filmkomödien, die internationale Aufmerksamkeit erfahren haben. Im Zuge des aktuellen politischen Umbruchs am Nil wird der Film in den Medien vermehrt als frühe Kritik am Mubarak-Regime gewürdigt. Warum diese Annahme unzutreffend ist, erklärt Irit Neidhardt.

Von Irit Neidhardt

Der ägyptische Mega-Star Adel Imam ist der bekannteste und beliebteste Komiker der arabischen Welt. Und ihr größter Publikumsmagnet. In "Terror und Kebab" spielt er einen kleinen Beamten, den Durchschnittsmann Ahmed, der wiederholt versucht auf der Mugamma (dem zentralen Bürger- und Polizeiamt für die Mega-City Kairo und in einigen Bereichen für das gesamte Land) den Schulwechsel seiner Kinder zu erwirken.

Er wogt sich im Menschenmeer durch die Behördenflure. Erst nach mehreren Runden ist es möglich, in das gewünschte Büro abzubiegen. Am Ziel angelangt findet er eine Beamtin vor, die permanent hysterisch plappernd mit ihrer Freundin telefoniert und Ahmed an den Kollegen verweist.

Der ist ein Muslimbruder im Dauergebet. Zwischen Lobpreisungen an Gott schickt er Ahmed zum Bruder Abteilungsleiter, der Mal auf einem Lehrgang ist und Mal zur Notdurft außer Hauses; denn er sei ein feiner Herr und die Toiletten auf dem Amt seiner nicht würdig, so die Plappertasche.

Ein Amt als Spiegelbild der Gesellschaft

Filmszene aus Al-Irhab wa-l Kebab
Provokation statt Diskussion: Auch wenn der Arafas Film formal den Rahmen der Komödie verlässt, bleibt er für das Publikum amüsant.

​​Drehbuchautor Wahid Hamed nutzt den Ort der Mugamma, um eine ganze Fülle von Ungerechtigkeiten im ägyptischen System anzusprechen. Der Witz speist sich aus der grotesken Überziehung der ohnehin stereotypen Figuren: ein Soldat, ein Dorftrottel, muss sich von einem höheren Beamten gängeln lassen, dem er nicht nur den Schreibtisch staubfrei hält sondern auch die Kinder hütet; ein Schuhputzer auf halber Treppe erzählt, wie man ihn auf dem Amt um seine Parzelle Ackerland betrog; eine Frau, die irrtümlich als Prostituierte verhaftet wurde und aus ihrem Ausschnitt ein ganzes Arsenal an Make-up zaubern kann, weigert sich ein falsches Geständnis zu unterschreiben und ein Nubier, dem Klischee nach unterentwickelt, beginnt jeden seiner Sätze mit "in Europa und den fortschrittlichen Staaten".

Ahmed findet den Abteilungsleiter in keinem der feinen Toilettenräume der Umgebung. Auf dem Weg zurück in die Mugamma erspäht er auf der Straße einen älteren feinen Herren, den er zuvor im Bus über den Verfall der Sitten sowie die zunehmende Religiosität und Verdummung hat schimpfen hören. Hoffend, dies sei der Bruder Abteilungsleiter, sprintet er zurück in das Büro und kündigt an, so lange zu bleiben, bis sein Fall behandelt werde.

Er gerät dabei in Streit mit dem Muslimbruder, der seine Ruhe vor Ahmed haben will. Dieser wiederum findet, dass Religion auf dem Amt nichts zu suchen habe. Es kommt zum Handgemenge, die Beamtin ruft kurzerhand die Sicherheitskräfte, bei Ahmeds Festnahme löst sich ein Schuss. Es ist Ahmed, der das Gewehr in der Hand behält und in leichter Verwirrung verkündet, die noch Anwesenden seien nun seine Geiseln.

Mit Ahmeds Entschluss zur Aktion wendet sich der Film vom Genre der Komödie ab. Alle Hürden, die bisher ins Drehbuch eingeschrieben waren, sind wie vom Erdboden verschwunden. Als Ahmed die Treppen zurück in das Büro sprintet (der feine Herr ist schon vergessen), sind die Flure fast leer, die Plappertasche telefoniert das erste Mal nicht und ist plötzlich ganz selbstverständlich dazu in der Lage, die Sicherheitsleute anrufen. Nur der Muslimbruder betet und katalysiert hierdurch das Problem.

Dichotomische Muster

Kinoplakat Al-Irhab wa-l Kebab
Satirische Seitenhiebe auf die kafkaesken Strukturen der ägyptischen Verwaltungszentrale, der Mugamma im Herzen Kairos: Terror und Kebab

​​Wahid Hamed ist ein ebenso erfolgreicher wie bekannter Drehbuchautor, Geschichten über ihn füllen ganze Zeitungsseiten; auch Anfang der 1990er war er bereits in vieler Munde. Die abfällige Darstellung von Religiosität ist eines seiner Markenzeichen, desweiteren die Provokation und das Brechen von Tabus. Letztere jedoch behandelt er nie, er erwähnt sie nur, jegliche Diskussion bleibt aus.

Lediglich die oben beschriebenen Figuren solidarisieren sich mit Ahmed, der gebildete Nubier ausgenommen. Alle anderen sind Geiseln. Der Antagonismus Staat - Volk verschiebt sich in Terroristen und ehrwürdige Bürger, in Gut und Böse. Auch in diesem Film betrachtet der Autor die Situation nicht genauer. Er spielt nicht mit der Ironie, dass Ahmed selbst Beamter und die Geiselnahme aus seiner Verzweiflung an der Gleichgültigkeit in der Behörde entstanden ist. Hierfür müsste Ahmed eine Agenda formulieren, die aber hat er nicht.

Zweimal gibt ihm der Innenminister, der mit einem ganzen Bataillon hoch bewaffneter Polizei vor der Mugamma angerückt ist, die Möglichkeit, seine Forderungen mitzuteilen. Der "Terrorist" Ahmed stammelt jedoch nur herum und fragt dann kurzerhand die Geiseln, ob sie nicht hungrig seien.

Deren Wunsch nach Kebab gibt er dem Minister weiter, der im Gegenzug Kentucky-Menüs anbietet. Das lässt sich das Volk nicht bieten und skandiert laut durch die offenen Fenster der Behörde "Kebab! Kebab! Wir halten euch auf Trab!"

Bei einem späteren Versuch des Ministers, Ahmed seine Forderungen zu entlocken, lacht dieser verlegen auf und sagt, dass er gar keine habe. Er sei gekommen, um die Schulangelegenheiten seiner Kinder zu erledigen. Er sei nicht anders als alle anderen Anwesenden, die nun nach und nach ihre Sorgen erzählen und sich auf dümmliche Art und Weise über die Politik empören.

Forderungen lassen sich daraus nicht formulieren. Bei der friedlichen Räumung der Mugamma verlässt Ahmed das Gebäude inkognito im Schutz der Geiseln. Der Morgen graut und alle treten von der Filmbühne ab.

Ein Komiker, der keinen Spaß versteht

Adel Imam; Foto: wikipedia
Zwielichtige Haltung zum Mubarak-Regime: Ägyptens Star-Schauspieler Adel Imam

​​Auch wenn der Film formal den Rahmen der Komödie verlässt, er alle Unvereinbarkeiten einfach aus dem Weg räumt, statt sie als zentrales Element des Genres zu nutzen und an ihnen, spielerisch, eine Diskussion zu eröffnen, bleibt er für den Großteil des Publikums lustig. Die Lacher generieren sich aus der Vermessenheit Ahmeds zu meinen, er könne den Aufstand proben. Das Publikum lacht den Möchtegern-Rebellen aus.

Der Witz zu Beginn des Films, eine Tafel, auf der das Filmteam dem Innenminister und den Sicherheitskräften für das Verständnis und die Unterstützung bei den Dreharbeiten dankt, ist bitterer Ernst. Der Film wurde, eine Seltenheit für den ägyptischen Mainstream, an Originalschauplätzen aufgenommen, die Mugamma hierfür geräumt und ein echtes Polizeibataillon aufgefahren. Das ist natürlich nur mit tatkräftiger Unterstützung der Regierung möglich.

Regisseur Sherif Arafa ist später Teil des Medienteams für Mubaraks Präsidentschaftswahlkampf 2005 geworden, im Februar 2011 übernahm er, zusammen mit dem Filmemacher und Wahlkampfteam-Kollegen Marwan Hamed, die Koordination des Kompilationsfilms "18 Days", dem "Film zur Revolution". Adel Imam hat sich auch nach Mubaraks Abgang öffentlich hinter ihn gestellt. Bei der Ehre seines Präsidenten kennt der Komiker keinen Spaß.

Irit Neidhardt

© Qantara.de 2011

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de