Schutzheiliger der Ökumene: Ausnahme-Theologe Hans Küng wird 90 Jahre alt

Hans Küng ist ein Universalgelehrter: Seit mehr als einem halben Jahrhundert wirbt der Schweizer Theologe für ein zeitgemäßes Christentum. Ohne ihn wäre die moderne Ökumene noch lange nicht so weit. Von Stephan Cezanne

Er ist der moderne Schutzheilige der Ökumene: Nur wenige haben so viel zur Annäherung zwischen Katholiken und Protestanten beigetragen wie der Theologe Hans Küng. Und kaum jemand erklärt so verständlich die Grundgedanken von Christentum, Islam, Judentum oder Buddhismus. Küng zählt damit zu den großen religiösen Orientierungsfiguren der Gegenwart. Am 19. März wird der Beststeller-Autor und Reformkatholik 90 Jahre alt.

«Was dürfen wir hoffen? Wozu sind wir auf Erden? Was soll das Ganze?», fragt Küng. Vor allem in seinen Büchern - die zurzeit erscheinende Gesamtausgabe ist auf 24 Bände angelegt - gibt er seine Antworten auf das, worauf es im Leben ankommt. Küng ist dabei auch immer politisch: Die stärker gewordene Rolle der Religion verlange mit Blick auf die Konflikte auf der Welt nach seriöser Information: «Nur dadurch lässt sich die ständig drohende Instrumentalisierung der Religion für politische, ökonomische, ethnische und nationale Interessen vermeiden», schrieb Küng Anfang 2017.

Seit Langem mahnt er Politik, Kirche und Wissenschaft zu einem umfassenden Bewusstseinswandel. Modelle für ein friedliches 21. Jahrhundert sucht seine Stiftung «Weltethos». In diesem Rahmen predigt er seit den 80er Jahren unermüdlich seine einfache Formel: Kein Frieden zwischen den Nationen ohne Frieden unter den Religionen. Kein Frieden zwischen den Religionen ohne Dialog.

Früh entscheidet sich der hochbegabte älteste Sohn eines Schuhhändlers im Schweizer Kanton Luzern für den Priesterberuf. Am Collegium Germanicum in Rom unterwirft sich der spätere «fromme Rebell» einer strengen Eliteausbildung und macht früh auf sich aufmerksam. Als junger Tübinger Professor, der eher wie ein Skilehrer wirkte, wird er zum Berater des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-65) berufen. Die Schriften von Küng «veranschaulichen die neue Lebendigkeit» der katholischen Theologie seit den 60er Jahren, so der in Oxford lehrende Kirchenhistoriker Alister E. McGrath.

Als ihm Ende 1979 unter Papst Johannes Paul II. die kirchliche Lehrerlaubnis «missio canonica» entzogen wurde - Küng hatte die Frage nach der Unfehlbarkeit des päpstlichen Lehramtes gestellt - wurde er freilich nicht arbeitslos: Bis zur Emeritierung 1996 lehrte der polyglotte Küng ökumenische Theologie und leitete das Tübinger Ökumene-Institut. Sein Lehrstuhl für christliche Theologie war – ein Novum in der deutschen Universitätsgeschichte - rechtlich keiner Kirche zugeordnet.

Der Entzug der Lehrerlaubnis förderte seine Bekanntheit außerhalb der Kirchen enorm. Und «je mehr Johannes Paul II. und Benedikt XVI. seine Impulse blockierten, desto mehr wurde Küng zur geheimen Leitfigur an der Basis reformorientierter Katholiken», bilanziert Magnus Lux von der Bewegung «Wir sind Kirche».

Wegweisend sind auch Küngs Aktivitäten im interreligiösen Dialog: Er habe die «christliche Ökumene in den weiteren Horizont einer Ökumene der Religionen gerückt, auch auf ethischem Gebiet», sagt Ulrich H. J. Körtner, Ordinarius für Systematische Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien. Küngs Projekt Weltethos habe international Beachtung gefunden und wichtige Denkanstöße für eine globale Ethik gegeben, «in einer Zeit, in der die Zukunft der Menschheit ernsten Gefahren ausgesetzt ist.»

Küng sei «Vermittler von großen Lebensthemen, kein Kirchenlehrer», erklärt Martin Bräuer vom evangelischen Ökumene-Institut im südhessischen Bensheim: «Er ist eher der Fragende, der in die Gesellschaft hineinhört und versucht, theologische Themen von der gesellschaftlichen Wirklichkeit aus zu verstehen.» Man könne ihn durchaus als «offenen Reformkatholiken» bezeichnen, Küng selbst habe sich manchmal einen «evangelischen Katholiken» genannt. Bräuer: «Er hat schon etwas Visionäres.»

Die Frage der Ökumene habe er zu einer Zeit bearbeitet, «als das noch keiner auf dem Schirm hatte». Er habe auch Themen gesetzt, «die noch kommen, wie die ganze Frage des interreligiösen Dialogs». Insofern sei er seiner Zeit schon immer weit voraus gewesen. «Ob Küngs Antworten noch für die jetzige Zeit tauglich sind, das muss man sehen», räumt Bräuer zugleich ein.

Bereits 2013 bekannte der an Parkinson und einem schweren Augenleiden erkrankte Küng öffentlich, möglicherweise aktive Sterbehilfe in Anspruch nehmen zu wollen. Sollte er «irgendwelche Zeichen von Demenz» spüren, wolle er in eigener Verantwortung über Zeitpunkt und Art des Sterbens entscheiden, erklärte der in Tübingen lebende Gelehrte.

In einem Interview mit der Talkshow-Moderatorin Anne Will sagte Küng 2013: «Ich habe alle Bücher geschrieben, die ich schreiben wollte, habe alle Reisen gemacht, die ich machen wollte. Also ich bin in diesem Sinne ein glücklicher Mensch, relativ glücklich, und kann sagen, mein Werk hat sich in etwa gerundet und vollendet.» (epd)