Schau zu arabisch-deutschen Erzähltraditionen im Neuen Museum

Von Aladdin bis Aschenputtel: Mit den wechselseitigen Einflüssen von Märchen in der deutschen und arabischen Welt beschäftigt sich derzeit in Berlin eine neue Ausstellung.

Das arme Mädchen, der Prinz, die Stiefschwestern, die Linsen, die Tauben und, ach ja, der Schuh natürlich: Etwa 345 verschiedene Versionen von Aschenputtel alias Cinderella gibt es. In der Grimmschen Fassung kappen die Stiefschwestern noch eigenhändig Ferse und Zeh, damit der Fuß in den zierlichen Schuh passt. Die amerikanische Disney-Verfilmung kommt dagegen weniger blutrünstig aus, hier wird der Fuß einfach hineingequetscht. Das Märchen ist seit dem 17. Jahrhundert bekannt - und zwar auch in der arabischen Welt.

Ein Grund für die Staatlichen Museen zu Berlin, den wechselseitigen Einflüssen von Märchen eine Ausstellung zu widmen. Ab diesem Donnerstag bis zum 18. August läuft die Schau "Cinderella, Sindbad & Sinuhe. Arabisch-deutsche Erzähltraditionen" im Neuen Museum. Erstmals beschäftigt sich damit eine deutschsprachige Ausstellung mit den Erzähltraditionen aus dem Alten Ägypten, der arabischen Welt und Deutschland. Veranstalter sind das Ägyptische Museum in Kooperation mit der "Arab-German Young Academy of Sciences and Humanities".

Märchen, Geschichten und Ideen reisten zwischen der arabischen Welt und Deutschland auf den verschiedensten Wegen und auf den unterschiedlichsten Kanälen. Welche Geschichten wo zuerst existierten, lasse sich dabei nicht immer zweifelsfrei nachweisen, sagt Kuratorin Verena Lepper. Ein gegenseitiger Einfluss sei oft "jedenfalls nicht auszuschließen". Märchenerzähler auf Marktplätzen, in Kaffeehäusern, in Schulen: In einer Zeit, in der "gesellschaftliche Debatten zunehmend von Ablehnung geprägt sind", sei es wichtig, sich den "historisch gewachsenen Gemeinsamkeiten der verschiedenen Kulturen zu widmen und sie zu vermitteln", so Lepper.

Die Bandbreite der dreisprachigen Schau (Deutsch/Englisch/Arabisch) reicht von altägyptischen Papyri über die Geschichten der Gebrüder Grimm und aus Tausendundeiner Nacht bis zu modernen Comics. Rund 100 Objekte aus den Sammlungen der Staatlichen Museen zu Berlin sowie bedeutende Leihgaben werden gezeigt. In einem Erzählzelt, das im griechischen Hof des Neuen Museums aufgestellt ist, gibt es die Möglichkeit, Märchen aller Art zu lauschen.

Dabei präsentiert die Ausstellung eine Vielzahl vergleichbarer Motive in beiden Erzähltraditionen, wie Lepper betont. Neben Tiermotiven wie dem Froschkönig gehört dazu vor allem das Schuhmotiv, das für die Überwindung sozialer Schranken steht: Eine neuere libanesische Version etwa von "Sindirilla" - so heißt Aschenputtel auf Arabisch - erzählt von einem Mädchen einfacher Herkunft, das von der Stiefmutter aufgefordert wird, einen Fisch zu schuppen. Dass Cinderella und der Prinz heiraten, hängt auch hier am Ende davon ab, ob der Schuh passt.

Daneben hat die humorvolle Figur des "weisen Narren", der Tabus aufzeigt, in der arabischen wie der deutschen Erzähltradition eine wichtige Funktion. Prominente Beispiele dafür sind der deutsche Till Eulenspiegel und der arabische Juha, beide im 14. Jahrhundert als historische Personen belegt, die jeweils unabhängig voneinander ab Ende des 15. Jahrhunderts eine ähnliche Erzähltradition nach sich zogen: So ist der Esel, der häufig als Symbol für Dummheit steht, für Eulenspiegel und Juha ein wichtiger Wegbegleiter.

Auch deutsche Dichter wie Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832), der selbst Arabisch schreiben konnte, bezogen sich auf arabische Literatur: So verweisen sowohl der "Faust" als auch der "West-östliche Divan" auf den Dichter al-Mutanabbi aus dem 10. Jahrhundert. Die Sammlung, die in der europäischen Literatur als "Tausendundeine Nacht" bekannt ist, wurde vor 300 Jahren als "grenzübergreifender Text" geboren: Erst die erste Übersetzung durch den Franzosen Jean Antoine Galland im 18. Jahrhundert enthielt etwa auch "Sindbad" und beruhte auf mündlichen Überlieferungen und handschriftlichen Manuskripten, so Lepper.

"Layla wa-I-Dhib" - so heißt die moderne arabische Version von "Rotkäppchen". Vom Wolf fressen lässt sich Protagonistin Layla - wie ihr traditionelles Vorbild mit rotem Mantel und Hut angetan - allerdings nicht. Sie ruft die Polizei. Per Handy. (KNA)