Rebellen im sicheren Hafen Irak

Wenn alles wie geplant läuft, dann könnten 30 Jahre blutiger Kampf zwischen der Türkei und der kurdischen Arbeiterpartei PKK jetzt zu Ende gehen, denn die PKK zieht nun ihre Kämpfer in den Irak ab. Einzelheiten von Birgit Svensson

Von Birgit Svensson

Najiba ist nicht ihr richtiger Name. Alle Mitglieder der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) haben ihre zivile Existenz hinter sich gelassen, als sie sich für den Guerilla-Kampf gegen die Türkei entschieden haben. Die junge Kurdin ist geschult in der Sprache, wie sie die Organisation nach außen vertritt. Sie gehöre dem "Volkskongress Kurdistan" (Kongra-Gel) an, dem politischen Arm der PKK.

Najiba steht am Fuße der 5.000 Jahre alten Zitadelle im irakischen Erbil und sammelt Unterschriften für die Freilassung des PKK-Gründers Abdullah Öcalan aus der lebenslänglichen Haft in der Türkei.

Mit ihrem hellblauen Jeanshemd und der nach hinten gedrehten Baseballmütze sieht Najiba aus wie ein normaler Twen, der sich politisch engagiert. Nur die grauen Militärhosen lassen ihre Vergangenheit erahnen. Bis vor Kurzem lebte die 22-jährige Türkin in den irakischen Bergen, nahe der Grenze zu ihrem Geburtsland.

Streben nach politischer Lösung

Zwar sind die Kandil-Berge schon seit Langem zum Unterschlupf und zur Operationsbasis der Guerillas geworden. Von dort aus verübten sie Anschläge auf türkische Städte und Einrichtungen, die wiederum mit Luftangriffen der türkischen Armee auf Stellungen der PKK in den Bergen beantwortet wurden. Doch mit jedem Anschlag rückte das ursprüngliche Ziel der PKK, einen unabhängigen kurdischen Staat zu erhalten, in noch weitere Ferne.

Najiba, © Birgit Svensson
"Freiheit für Öcalan": Najiba und ihre Kollegen sammeln Unterschriften zur Freilassung des Chefs der Arbeiterpartei Kurdistans, der seit 1999 auf der Insel Imrali inhaftiert ist.

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Denn die Arbeiterpartei Kurdistans, wie die PKK offiziell heißt, hatte immer weniger mit Partei und Arbeit und viel mehr mit Waffengewalt und Anschlägen zu tun. Über 40.000 Menschenleben soll sie auf dem Gewissen haben. Die Türkei, die EU und die Vereinigten Staaten nennen sie eine terroristische Vereinigung. Die Kurden merkten, dass sie damit nicht weiterkommen und streben nun nach einer politischen Lösung.

Der sind sie jetzt einen Schritt näher gekommen. Die Zeichen zwischen der türkischen Regierung in Ankara und der kurdischen Freiheitsbewegung stehen zurzeit auf Frieden. Die verbliebenen 2.000 Guerillakämpfer ziehen aus der Türkei ab in den Irak und sollen ihre Aktionen gegen die Türkei einstellen. Die ersten Kämpfer sind laut Najiba schon im Lager angekommen. "Der Rückzug läuft", sagt sie stolz.

Friedensverhandlungen zwischen Öcalan und Türkei

Der Abzug der PKK-Kämpfer aus der Türkei ist Resultat der Friedensverhandlungen, bei denen der inhaftierte Rebellenchef Öcalan und der türkische Geheimdienst MIT seit Dezember 2012 über Wege zur Beendigung des Kurdenkonflikts sprechen. Die türkische Regierung strebt nach dem Abzug eine Entwaffnung der PKK an.

Unklar ist bisher, welche politischen Zugeständnisse den Kurden im Gegenzug gemacht werden sollen. Die PKK und der Kongra-Gel fordern die Verankerung politischer und kultureller Rechte der etwa 13 Millionen türkischen Kurden in einer neuen Verfassung. Am Ende soll dann die Freilassung Öcalans aus dem Inselgefängnis vor Istanbul stehen. Um dieser Forderung Nachdruck zu verleihen, wollen Najiba und ihre Mitstreiter eine Million Unterschriften sammeln und diese sowohl in Ankara als auch in Brüssel abgeben.

Das Misstrauen ist auf beiden Seiten noch groß. Daher will die PKK den Abzug jedoch sofort stoppen, falls sie auf ihrem Rückzug angegriffen wird. Bei einem schon einmal geplanten Rückzug 1999 griff das türkische Militär die Kämpfer an und tötete etwa 500 von ihnen. "Jetzt kommen unsere Leute zu Fuß über die Berge und gehen nur nachts", sagt Najiba, "damit keiner weiß, wo sie sind und sie verfolgen kann". Der Abzug kann daher bis zu vier Monate dauern.

Die Anschläge auf die Türkei sollen aufhören, © MUSTAFA OZER/AFP/Gett/AFP/Getty Images
Entscheidender Schritt in Richtung Frieden: Die Verlegung der insgesamt etwa 2.000 PKK-Kämpfer aus der Türkei in Lager der Rebellen im benachbarten Nordirak gilt als entscheidende Wegmarke bei den Bemühungen um ein Ende des Kurdenkonflikts, dem seit 1984 mehr als 40.000 Menschen zum Opfer fielen.

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Roter Teppich brachte Veränderung

So wird nun der kurdische Teil des Irak zum sicheren Hafen für die türkischen Freiheitskämpfer. Denn von allen Ländern, in denen Kurden leben, sind sie im Irak besonders weit gekommen. Ihre weitgehend unabhängige Region erfährt einen noch nie dagewesenen Boom.

Als Wirtschaftszentrum mit über fünf Milliarden US-Dollar ausländischer Direktinvestitionen in 2012, ist Irak-Kurdistan schon jetzt zu einer Größe herangewachsen, die nicht mehr vernachlässigt werden kann. Die Hauptstadt Erbil ist in den letzten zehn Jahren auf das Doppelte ihrer ursprünglichen Bevölkerungszahl angewachsen und zählt jetzt knapp 1,5 Millionen Einwohner.

Die Kritik der in Bagdad regierenden schiitischen Rechtsstaatskoalition von Premier Nuri al-Maliki, die Aufnahme der PKK berge ein nicht zu unterschätzendes Risiko, prallt am Präsidenten Irak-Kurdistans Massud Barzani in Erbil ab. Denn der 66-Jährige hat maßgeblich zu dem Abzug der PKK-Kämpfer beigetragen.

Als Barzani Ende April 2012 von Erbil nach Ankara reiste, wurde er dort wie ein Staatsgast empfangen. Von einer historischen Wende sprachen die Medien in den drei Autonomieprovinzen entlang der türkischen und iranischen Grenzen, denn die beiden Herren standen sich bis dato eher feindlich gegenüber.

Syriens Regime als gemeinsamer Feind

Grund für das Umdenken ist der Bürgerkrieg in Syrien, der das geostrategische Verhältnis in der Region derzeit rasant verändert. Seitdem das Regime in Damaskus versucht, die PKK für seine Zwecke und gegen die Türkei zu nutzen und ihr fast völlig freien Operationsraum im Nordosten des Landes lässt, schrillen die Alarmglocken in Ankara.

Nach dem Sturz Saddam Husseins schlug die PKK einige Lager in den Kandil-Bergen auf und fand dort eine Heimstatt für etwa 5.000 ihrer Kämpfer. Erdogans Forderung an Barzani sie auszuweisen, lehnte Barzani stets ab.

Für den Beistand im Kampf gegen den irakischen Diktator empfinden die Kurden Iraks auch heute noch Dankbarkeit gegenüber der PKK. Auch als Ankara Luftangriffe auf Ziele in der irakischen Grenzregion gegen die Guerilla fliegen ließ und kurdische Dörfer verwüstete, lenkte Barzani nicht ein. Einen drohenden Einmarsch der türkischen Armee am Grenzort Zakho vor fünf Jahren konnten die Amerikaner als Besatzungsmacht des Irak und als Nato-Partner in letzter Minute abwenden.

Inzwischen verdingt sich die kurdische Regionalregierung in Erbil als Vermittler der syrisch-kurdischen Opposition gegen Assad. Barzanis Kurdische Demokratische Partei (KDP) lädt nicht nur zu regelmäßigen Konsultationen ein, sondern organisiert auch den Grenzverkehr zu Syrien im Norden. In Feindschaft zu Assad in Damaskus ziehen Erdogan und Barzani jetzt an einem Strang.

Birgit Svensson

© Deutsche Welle 2013

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de