Romane gegen Krisen und Tabus - Arabische Autoren kämpfen um Freiheit

Seit den Aufständen 2011 erlebt die arabische Welt Chaos und Aufruhr. Die Umbrüche bescheren Autoren neue Themen und mancherorts sogar mehr Freiheiten. Der Arabische Booker-Preis soll ihnen eine Bühne geben. Von Jan Kuhlmann

Für sein jüngstes Buch hat sich Mohammed Abdel-Nabi eines der heikelsten Sujets ausgesucht, das ein Autor in der arabischen Welt behandeln kann. In dem Roman «Das Zimmer der Spinne» erzählt der Ägypter die Geschichte eines Mannes, der wegen seiner Homosexualität im Gefängnis landet und deswegen in eine tiefe Identitätskrise stürzt.

So offen schreibt Abd el-Nabi über ein Thema, über das am Nil sonst nur hinter vorgehaltener Hand getuschelt wird, dass das Buch einem Tabubruch gleichkommt. Und ihm gleichzeitig den bisher größten Erfolg seiner Karriere als Autor beschert.

Der 40-Jährige gehört zu den sechs Schriftstellern, die es in diesem Jahr auf die Shortlist des bekanntesten Literaturpreises der arabischen Welt geschafft haben. Zum mittlerweile neunten Mal wird der Internationale Preis für Arabische Romanliteratur (International Prize for Arabic Fiction/IPAF) am 25. April in Abu Dhabi verliehen.

Und auch in diesem Jahr fiebern Verlage und Autoren der arabischen Welt diesem Termin entgegen - gibt er ihnen doch die Gelegenheit, in einer von Krisen und Kriegen dominierten Region für einen Moment ins Scheinwerferlicht zu rücken.

Das ist für die Branche auch deshalb wichtig, weil die Literatur in der Region oft ein Schattendasein fristet. Die mündliche Überlieferung hat vielerorts eine längere Tradition als die schriftliche. Wenn Leser zum Buch greifen, dann oft eher zu religiösen Werken. Analphabetismus ist weit verbreitet.

Zudem bieten Diktaturen und autokratische Staaten kein Klima, in dem Literatur blühen kann.  Ökonomische Probleme sind eine zusätzliche Bürde, was zuletzt die Internationale Buchmesse Kairo, die größte ihrer Art in der Region, spüren musste. Die Zahl der dort auftretenden Verlage ging zurück.

Der von Abu Dhabi finanzierte IPAF, wegen seiner Verbindung mit dem britischen Original auch Arabischer Booker-Preis genannt, soll Verlagen und Autoren eine Bühne geben. So will er dazu beitragen, dass arabische Romane auch international eine größere Aufmerksamkeit finden, wo sie oft nur eine Nebenrolle spielen. Der Ägypter Nagib Mahfus etwa war bisher der einzige arabische Autor, der den Literatur-Nobelpreis gewann. Der Sieger des Arabischen Booker-Preises erhält nicht nur ein Preisgeld von 50.000 Dollar, sondern auch eine Übersetzung seines Buches ins Englische.

Die diesjährige Jury-Vorsitzende, die palästinensische Autorin Sahar Khalifa, sieht gerade den Roman in dieser Zeit der Umbrüche in einer zentralen Rolle. Lange stand dieses Genre in der arabischen Welt im Schatten der Poesie. «In den vergangenen 40 oder 50 Jahren aber ist der Roman dominant geworden», sagt Khalifa. «Der Roman kann all das Chaos, den Aufruhr, das Leiden der Menschen darstellen. Er kann all das erklären, was in den Gesellschaften, auf der Straße passiert.»

Die Palästinenserin ist sogar überzeugt, dass Autoren in der Region trotz der Krisen und Repressionen heute freier sind als früher: «Was vor sich geht, ist eine Revolution. Die Menschen haben nicht mehr länger Angst vor den Regimes. Trotz des Aufruhrs, trotz des Chaos haben sie den Eindruck, dass das eine Phase ist, durch die wir durchgehen müssen, um einen wirklichen Wandel zu erreichen.»

Gerade der Irak hat seit dem Sturz von Langzeitherrscher Saddam Hussein 2003 zahlreiche Autoren und Romane hervorgebracht, die früher nicht zu Wort gekommen wären. Die Werke zeichnen oft das düstere Bild einer leidenden und zerstörten Gesellschaft. 2014 gewann der Iraker Ahmed Saadawi mit «Frankenstein in Baghdad» den arabischen Booker-Preis.

In diesem Jahr gilt sein Landsmann Saad Mohammed Rahim mit dem Roman «Die Ermordung des Buchhändlers» als ein Favorit auf den Sieg. Darin erforscht er den Tod eines 70 Jahre alten Künstlers und thematisiert den Untergang des intellektuellen Lebens im Irak.

Abd el-Nabis Roman ist ein Beispiel dafür, dass selbst in dem repressiv regierten Ägypten ein so heikles Thema wie Homosexualität thematisiert werden kann, obwohl Schwule dort mit Verfolgung rechnen müssen. Der 40-Jährige hat die positive Erfahrung gemacht, dass er seit Veröffentlichung des Romans im vergangenen Jahr keine Schikanen vonseiten der ägyptischen Behörden erleben musste. «Ich habe versucht, mich auf die psychologischen Seiten und Gefühle von Homosexuellen zu konzentrieren», sagt er. «Menschen sind heute mehr bereit als früher, solche Themen zu diskutieren.»

Schon seine Nominierung hat dazu geführt, dass das Interesse an ihm stark gestiegen ist: «Wenn ich den Preis gewinne, wird das für mich ein Schock sein», sagt Mohammed Abd el-Nabi. «Seit meiner Nominierung stehe ich in einem Rampenlicht, das ich nicht mag. Ich arbeite lieber abseits des Scheinwerfers.» (dpa)

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