«Ringen um Wählerstimmen in Almanya»: Recep Tayyip Erdogan kommt nach Deutschland

Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan kommt am Sonntag zu einer inoffiziellen Wahlkampfveranstaltung nach Deutschland. In Karlsruhe will Erdogan bei einem "Treffen der Jugend" sprechen, wie der Verband Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD) mitteilte. Bereits in den vergangenen Tagen tourten zahlreiche weitere türkische Spitzenpolitiker durch Deutschland, um in Berlin, Düsseldorf, Dortmund und anderswo um Stimmen für die bevorstehende Parlamentswahl in ihrem Heimatland zu werben. Hierzulande leben fast 1,4 Millionen wahlberechtigte Türken - auf deren Unterstützung wollen weder Regierung noch Opposition verzichten. Die Stimmen aus Deutschland seien sehr wichtig, betont Hüsnü Sahin, der in Köln für die Oppositionspartei CHP wirbt. Der Hamburger Türkei-Forscher Yasar Aydin sieht das ähnlich: "Für einige Parteien ist das sogar existentiell."

In Istanbul und Anatolien wird am 7. Juni das neue Parlament bestimmt. Doch in Deutschland und vielen anderen Ländern können die Türken schon früher ihr Kreuz machen. Die 13 türkischen Generalkonsulate in der Bundesrepublik öffnen vom 8. bis 31. Mai die Wahlkabinen. Die lange Zeitspanne soll eine hohe Beteiligung garantieren.

Davon wird nach Aydins Einschätzung vor allem die islamisch-konservative Regierungspartei AKP profitieren. Grund dafür sei neben dem Amtsbonus, dass sich die AKP bei Kernthemen immer wieder mit europäischen Politikern anlege. "Das kommt bei einigen gut an", meint Aydin. Außerdem sei ein Großteil der Türken in Deutschland konservativ und wähle entsprechend.

Allerdings ist nicht sicher, dass die insgesamt 2,7 Millionen türkischen Wähler im Ausland scharenweise zu den Urnen eilen. Bei der Präsidentschaftswahl im vergangenen Jahr lag die Beteiligung der Auslandstürken bei nur 8,6 Prozent.

Dennoch: Die Parteien hoffen auf Unterstützung aus Almanya, wie Deutschland auf Türkisch heißt. Für die Kurdenpartei HDP geht es darum, die Zehn-Prozent-Hürde für den Einzug ins Parlament zu überspringen. Laut den Umfragen ist es unsicher, dass dies gelingen wird. "Wenn Europa an die Wahlurnen geht, überwinden wir die Hürde", gab sich HDP-Chef Selahattin Demirtas kürzlich in Berlin zuversichtlich.

Auch die säkularistische CHP und die nationalistische MHP schickten ihre Parteivorsitzenden ins Ausland. Der CHP-Vorsitzende Kemal Kilicdaroglu versprach vor Tausenden Anhängern in Düsseldorf, die Freistellung vom türkischen Wehrdienst billiger zu machen. CHP-Helfer Sahin verteilte allein in Köln 10.000 Flyer. Für die AKP kam Partei- und Regierungschef Ahmet Davutoglu in die Dortmunder Westfalenhalle. Der Premier versprach billigere Türkei-Flüge und Stipendien für Jugendliche und beschwor eindringlich die Einheit über Landesgrenzen hinweg. "Für uns ist die Türkei überall", rief er.

Alle Parteien thematisieren im Wahlkampf die türkische Innenpolitik. Zusätzlich sprechen sie Themen an, die das Leben in Deutschland betreffen - sie stellen etwa günstigere Reisepässe in Aussicht. Zugleich warnen die Politiker vor Islam- und Ausländerfeindlichkeit. "Sie plädieren dafür, sich zu integrieren, ohne die Bindungen an die Türkei zu verlieren", beschreibt Aydin die Haltung bei den Auslandsauftritten.

Die Wahl wird von vielen als Richtungsentscheidung gesehen. Die AKP, die wieder mit einem sicheren Sieg rechnen kann, will eine verfassungsändernde Mehrheit erreichen. Damit könnten die begrenzten Machtbefugnisse von Präsident Recep Tayyip Erdogan ausgeweitet werden. Der einstige AKP-Vorsitzende will als Staatsoberhaupt nicht nur repräsentieren, sondern ähnlich wie Präsidenten in den USA oder Frankreich die Fäden in der Hand halten.

Entsprechend alarmiert ist die politische Konkurrenz. Bei dieser Wahl konkurrierten nicht nur Parteien, sondern auch Weltanschauungen, mahnte HDP-Chef Demirtas. CHP-Anhänger Sahin sieht die Demokratie durch eine andauernde AKP-Alleinherrschaft in Gefahr. Laut Forscher Aydin verstehen am Ende alle Lager die Wahl auch als ein Referendum: "Es geht um die Zukunft der Türkei. Soll sie eine parlamentarische Demokratie bleiben oder ein Präsidialsystem erhalten?" Mit dieser Frage müssen sich in den nächsten Wochen auch die türkischen Wähler in Deutschland befassen. (AFP)