Richter hält trotz massiven Drucks an Ermittlungen zu Explosion in Beirut fest

Beirut. Der für die Ermittlungen zur Explosionskatastrophe im Hafen von Beirut zuständige unabhängige Ermittlungsrichter hat seinen Willen bekräftigt, den Fall trotz massiven politischen und juristischen Drucks weiter zu verfolgen. "Ich bin weiterhin für die Ermittlungen zuständig und werde den Fall nicht abgeben", erklärte Richter Tarek Bitar am Mittwoch gegenüber der Nachrichtenagentur AFP. Zuvor hatte der libanesische Generalstaatsanwaltschaft Ghassan Oueidat der AFP erklärt, er werde gegen Bitar wegen "Rebellion gegen die Justiz" sowie "Amtsanmaßung" vorgehen.



Oueidat ist unter den hochrangigen Vertretern des libanesischen Staats, gegen die Richter Bitar zu Wochenbeginn Anklage wegen einer mutmaßlichen Mitverantwortung für die Explosion am Hafen von Beirut erhoben hatte. Bei der Detonation hunderter Tonnen fahrlässig im Hafen gelagerten Ammoniumnitrats waren am 4. August 2020 ganze Stadtteile Beiruts dem Erdboden gleichgemacht worden. Mehr als 200 Menschen starben, 6500 weitere wurden verletzt und rund 300.000 wurden obdachlos.



Richter Bitar hatte die Ermittlungen zu dem Unglück am Montag nach 13 Monaten Pause offiziell wieder aufgenommen. Er will insgesamt 14 Verdächtige befragen, darunter hochrangige Vertreter des libanesischen Staats. Gegen fünf Beschuldigte hatte Bitar schon vor der Ermittlungspause Anklage erhoben, darunter der ehemalige Regierungschef Hassan Dia und ehemalige Minister.



Unter den neuen Angeklagten sind neben Generalstaatsanwalt Oueidat auch der Direktor der libanesischen Sicherheitsbehörde, Abbas Ibrahim, und der Leiter der Staatssicherheit, Tony Saliba, wie bereits am Montag bekannt geworden war.



Infolge der Ermittlungen Oueidats gegen Richter Bitar wird diesem nach Angaben der Staatsanwaltschaft am libanesischen Kassationsgericht zudem untersagt, das Staatsgebiet des Libanon zu verlassen. Bitar sei überdies vorgeladen worden, will aber nach Informationen aus Justizkreisen nicht zu dem Termin erscheinen.



Vertreter von Nichtregierungsorganisationen kritisierten das Vorgehen des angeklagten Generalstaatsanwalts Oueidat gegen Richter Bitar scharf. Anwalt Nikar Saghié von der NGO Legal Agenda sprach von einem "mafiösen Staatsstreich", es sei "juristisch unmöglich" und "Wahnsinn", dass ein Angeklagter seinen Richter verfolge. Die NGOs Amnesty International und Human Rights Watch hatten den UN-Menschenrechtsrat dazu aufgefordert, per Resolution "schnellstmöglich" eine unabhängige Untersuchungskommission einzusetzen.



Die Ermittlungen zu der Katastrophe waren von Beginn an systematisch behindert worden. Im Dezember 2021 hatte Bitar die Ermittlungen vorerst gestoppt, nachdem mehrere Politiker Klagen gegen ihn eingereicht hatten. Vor allem die einflussreiche Hisbollah hatte dem Richter Voreingenommenheit vorgeworfen und seine Absetzung gefordert. Eine internationale Untersuchung lehnen die libanesischen Behörden bis heute ab. (AFP)