Revolution von oben: Wie Saudi-Arabiens Kronprinz das Königshaus säubert

Der erste Hinweis darauf, dass etwas nicht stimmt, kam mit einem Brief. Am 4. November teilte das Hotel Ritz Carlton in Riad seinen Gästen mit, dass der normale Hotelbetrieb wegen einer unvorhergesehenen Buchung der Behörden vorübergehend eingestellt werden müsse.

Zu diesem Zeitpunkt war die politische Säuberungsaktion schon in vollem Gange. Innerhalb weniger Stunden ergriffen die Sicherheitskräfte mehr als 200 Angehörige der Elite aus Politik und Wirtschaft, darunter elf Prinzen, Minister und schwerreiche Geschäftsleute. Sie alle fanden sich im Ritz Carlton wieder, das vorübergehend als Nobel-Gefängnis fungierte. Insider sprachen von einer gut vorbereiteten Aktion.

Befohlen wurde sie vom 32-jährigen Kronprinzen Saudi-Arabiens, Mohammed bin Salman. Offiziell ist er der Thronfolger seines Vaters, König Salman, faktisch regiert er bereits jetzt das Land, das er in einen modernen Staat umwandeln will. Um dies zu erreichen - und um die eigene Macht zu festigen - nahm er sich die saudische Elite vor und schonte auch die royale Verwandtschaft nicht. Sein Einsatz ist hoch. Ob er das Land unangefochten führen kann, hängt vom Erfolg seiner Säuberungsaktion ab. Auf dem Spiel steht die politische Stabilität des weltgrößten Ölproduzenten. Eine Alternative sieht der Kronprinz aber nicht, denn ohne grundlegende Veränderungen drohen Saudi-Arabien eine schwere Wirtschaftskrise und soziale Unruhen. Die Herrschaft der Königsfamilie wäre in Gefahr, und das Land würde gegenüber dem Hauptrivalen Iran verlieren.

Aus dem Umfeld des Kronprinzen verlautete, er habe sich zu dem Vorgehen gegen die königliche Familie entschieden, als er erkannt habe, dass mehr Mitglieder gegen seine Thronfolge seien, als er erwartet habe. “Die ganze Anti-Korruptionskampagne richtete sich gegen die Familie”, sagt ein Insider: “Der Rest ist nur Show.” In der offiziellen Darstellung wird eine politische Motivation dementiert.

Der Kronprinz machte dabei auch vor ganz großen Namen nicht halt. Unter des Verhafteten ist Prinz Miteb bin Abdullah, ein Cousin von Prinz Mohammed und Kommandeur der mächtigen Nationalgarde. Weitere sind Prinz Alwalid bin Talal, der Chef der internationalen Investmentfirma Kingdom Holding, sowie Prinz Turki bin Abdullah, der frühere Gouverneur der Provinz Riad und Sohn des verstorbenen Königs Abdullah

Prinz Mohammed hatte seine Kampagne in Interviews offen angekündigt. Sein Instrument wurde das von König Salman geschaffene und am 4. November verkündete Komitee zur Bekämpfung der Korruption, an dessen Spitze Mohammed selbst steht. Er verband damit eine im Volk populäre Aktion mit der Sicherung seines Anspruchs auf den Thron.

Als König Salman 2015 den Thron bestieg, wurde Prinz Mohammed Verteidigungsminister und im Juni dieses Jahres offiziell Thronfolger. Er übersprang damit seinen älteren Cousin Mohammed bin Nayef. Die königliche Familie nahm dies hin. Einige Gegner Mohammeds landeten im Gefängnis.

Die jüngsten Verhaftungen sollen dem Kronprinzen helfen, die von ihm geplanten Reformen umzusetzen, die dem Land die größten Veränderungen seit seiner Gründung in den 1930er Jahren bringen könnten. Seit damals basierte der Staat auf einem Übereinkommen zwischen der königlichen Familie und den wahhabitischen Religionsführern, die die erzkonservative Version des Islam in Saudi-Arabien verankerten. Das Königshaus versprach seinen Untertanen ein komfortables Leben und einen Anteil am Ölreichtum. Im Gegenzug dafür ordneten sie sich unter und akzeptierten die strengen Religions- und Gesellschaftsregeln. Entscheidungen des Königs wurden im Konsens mit einer Gruppe von Prinzen getroffen, die seine Führung nicht infrage stellten.

Prinz Mohammed hat nun begonnen, diese Säulen des Herrschaftssystems einzureißen, die aufgrund des Bevölkerungswachstums und des sinkenden Ölpreises brüchig geworden sind. Den Konsens ersetzte er durch eine Alleinherrschaft, wie Kritiker sagen. Anders als frühere Herrscher hat Prinz Mohammed keine Familienmitglieder als Berater an seiner Seite. Zwar hat König Salman noch das letzte Wort, doch alle Machtpositionen sind bereits in der Hand Mohammeds. Seine Inthronisation wird für die nahe Zukunft erwartet. Nicht zuletzt ist das Alter des Prinzen bemerkenswert. Die letzten drei Könige waren 61, 80 und 79, als sie den Thron bestiegen. Prinz Mohammed ist 32 Jahre alt.

Seinem Volk bietet er einen neuen sozialen Kontrakt an: Ein Staat, der besser funktioniert, als die rigide Bürokratie der Vergangenheit, die Möglichkeit, Spaß zu haben, und eine Wirtschaft, die Jobs unabhängig vom Öl schafft. Im September strich er das Autofahrverbot für Frauen, und vor drei Wochen stellte er sein 500-Milliarden-Dollar-Projekt einer Zukunftsstadt am Roten Meer vor. Er will die Abhängigkeit des Landes vom Erdöl und die seiner Bewohner von Staatssubventionen verringern. Dem geplanten Börsengang des staatlichen Ölkonzerns Saudi Aramco kommt dabei eine zentrale Rolle zu.

Der Erfolg seines Kurses ist gleichwohl nicht garantiert. Seine Herangehensweise, keinerlei Opposition zu dulden, könnte Investoren abschrecken, die Wert auf Rechtsstaatlichkeit legen. Und ohne die Unterstützung von Investoren dürfte es ihm schwerfallen, die hohen Erwartungen der saudischen Jugend zu erfüllen. Auch der Krieg in Jemen, der Streit mit dem Emirat Katar und die zunehmenden Spannungen in den Beziehungen zu Iran beunruhigen Investoren.

Diese Klippen will der Kronprinz in enger Partnerschaft mit den USA umschiffen. Bei einem Besuch in Saudi-Arabien forderte US-Präsident Donald Trump im Mai, Saudi-Arabien solle eine Allianz gegen den Iran anführen und gegen dessen Versuche vorgehen, eine schiitische Achse Irak-Syrien-Libanon zu schmieden. Kurz darauf rief Saudi-Arabien eine Blockade Katars aus, dem es vorwarf, Iran und den Terrorismus zu unterstützen. Die jüngsten Festnahmen in Saudi-Arabien unterstützte Trump demonstrativ. (Reuters)

Mehr zum Thema finden Sie in der Analyse von Karim El-Gawhary: Politisches Erdbeben im Hause Saud