Presse ohne Freiheit - Ägyptens Feldzug gegen unabhängige Medien

Fast 500 Tage lang war der Journalist Ahmed Gamal Siada in Ägypten eingesperrt. Er erzählt von Männern mit Maske und falschen Beweisen - und ist bei weitem kein Einzelfall. Von Benno Schwinghammer

Der 28. Dezember 2013. Ahmed Gamal Siada wird den Tag niemals vergessen, an dem er nicht nach Hause kommen sollte. Der ägyptische Fotojournalist machte Aufnahmen einer Studenten-Demo in Kairo, als ihn ein Mann in Zivil ansprach. Siada wurde zu einem Polizeiwagen gebracht. Dann zur Wache. Später ins Gefängnis. 16 Monate verbrachte er hinter Gittern - und erlebte dort die dunkelsten Stunden seines Lebens.

Weltweit Schlagzeilen machen eher drei Al-Dschasira-Journalisten, die wenige Tage vor Siada festgenommen wurden. Doch bei ihnen geht es nicht nur um Pressefreiheit, sondern auch um eine Fehde des Herrscherhauses von Katar, dem der Nachrichtenkanal gehört, mit der ägyptischen Regierung. Siada, der junge Mann mit den dichten Locken und dem fünf-Tage-Bart, aber steht beispielhaft für Dutzende Journalisten in einem Land, in dem Medien unter Druck gesetzt werden.

18 Reporter sitzen nach Angaben des Komitees zum Schutz von Journalisten (CPJ) derzeit in Gefängnissen - so viele, wie seit mindestens einem Vierteljahrhundert nicht. Menschenrechtler gehen teilweise von weit mehr aus. Es ist auch eine Botschaft des Regimes des ehemaligen Armee-Generals Abdel Fattah al-Sisi an die Reporter in Freiheit: Überlegt euch gut, wie ihr berichtet!

Ahmed Siada wusste nicht, was ihn erwartet, als er von der Demonstration zur Polizeiwache gebracht wurde. Die Beamten zogen eine leere Tränengasdose aus seiner Tasche. Der Fotograf, dessen Angaben zu seinen Haftumständen nicht unabhängig überprüft werden können, sagt, dass er sie noch nie zuvor gesehen hatte.

In Gefangenschaft erlebt der junge Mann Gewalt und Erniedrigung. Als er zunächst in ein Lager der Armee gebracht wird, stehen ihm Sicherheitskräfte gegenüber. Sie sind maskiert, bilden eine Gasse. Beim Hindurchlaufen treffen Siada Knüppel und Fäuste.

In dem Lager und auch später im Gefängnis ist er mit vielen anderen zusammengepfercht. «Wenn du die Beine ausstrecken wolltest, musstest Du mit jemand anderem um den Platz kämpfen», sagt Siada. Einmal verbrachte er mehrere Tage in einer winzigen Zelle, ohne zu wissen, ob es Tag oder Nacht war.

Doch die Regierung zielt längst nicht nur auf ihre eigenen Landsleute. Denn sie hat einen frommen Wunsch: Wenn es demnächst wieder zu einem Terroranschlag kommt, sollen doch bitte auch internationale Medien ausschließlich Regime-Informationen verbreiten. Garantieren soll das ein neues Anti-Terror-Gesetz. Bei Zuwiderhandlung sah ein Entwurf mindestens zwei Jahre Haft vor. Mittlerweile ist nur noch die Rede von einer hohen Geldstrafe.

In Kraft sind die neuen Richtlinien noch nicht. Sie würden eine Verfolgung von Journalisten rechtlich legitimieren. Regierungschef Ibrahim Mehleb beteuerte dagegen in der Zeitung «Al-Masry Al-Youm»: «Ich schwöre bei unserem allmächtigen Gott, dass der Journalismus mit dem neuen Terrorismusgesetz nicht angegriffen werden soll.»

Wenn es um Ägyptens akutes Terrorproblem geht, wird der Staatsapparat nervös. Nach dem blutigen Angriff eines Ablegers der Terrormiliz IS auf dem Sinai Anfang Juli bekamen einige Auslandskorrespondenten Mails. Die veröffentlichte Zahl toter Soldaten sei falsch, schrieben ihnen Mitarbeiter des staatlichen Informationsdienstes (SIS).

In der Signatur der Mail hieß es: «Was der SIS nach der Überprüfung und Untersuchung von Tatsachenbehauptungen der Medien entdeckt, wird in Tagesberichten veröffentlicht.» Fazit: Wer nicht linientreu berichtet, wird an den Pranger gestellt.

Auf die bissige Antwort eines Korrespondenten folgte die schwer zu glaubende Reaktion eines angeblichen SIS-Lehrbeauftragten. Die gesendete Mail stamme von einer Studentin mit «unzureichenden Englischkenntnissen». Das Schreiben sei nur eine Übung gewesen, die junge Frau habe es versehentlich abgeschickt. Man entschuldige sich. Ob sich auch jemand bei ihm entschuldigt habe? Ahmed Siada lacht. Ende April wurde er offiziell freigesprochen - von so etwas wie einem Prozess habe er trotzdem nichts mitbekommen, sagt er. Seitdem schreibt er. Gegen die Regierung. Dabei gibt es keine Kritik, die er sich verkneifen würde, aus Angst wieder eingesperrt zu werden. «Die Revolution von 2011 hat uns gelehrt, dass es keine Grenzen gibt», sagt er nur. (dpa)

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