Pastoren und Imame als Whistleblower - Interreligiöses Netzwerk kämpft in Nigeria gegen Korruption

Korruption ist in Nigeria an der Tagesordnung. Millionen Euro verschwinden aus den Staatskassen oder zur Terrorismusfinanzierung. Religionsvertreter wollen sich dem entgegensetzen. Und notfalls Gläubige anzeigen. Von Andrea Stäritz

Sie treten stets im Duo auf, Imam und Pastor. Scheikh Halliru Abdullahi Maraya und Reverend John Joseph Hayab haben ein gemeinsames Ziel: Frieden in ihrem Heimatland Nigeria. Dazu predigen der Muslim und der Christ unbeirrt und unerschrocken gegen Korruption, Terrorismus und Gewalt - und arbeiten eng mit den Behörden zusammen. Der Imam und der evangelische Pastor verstehen sich auch als Whistleblower. Sie decken Missstände auf und prangern sie an, als Dienst an ihrem Land und den Menschen.

Die beiden Koordinatoren einer Friedensstiftung in der zentralnigerianischen Stadt Kaduna gehören einer Initiative der Anti-Korruptions-Behörde der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas an. Die hat dazu 50 herausragende Persönlichkeiten aus verschiedenen konfessionellen Institutionen ins Boot geholt. Auf der Agenda steht nichts Geringeres als eine «moralische Wiedergeburt» in Westafrika.

Als Whistleblower riskieren die Geistlichen, ins Visier der Drahtzieher und Geldgeber der Terrorgruppe Boko Haram zu geraten und sich mit den Netzwerken in Regierung und Wirtschaft anzulegen, die jährlich Milliardensummen veruntreuen. «Man muss auch bereit sein, etwas zu opfern, damit andere leben können», zeigt sich Sheikh Maraya unbeirrt und entschlossen. Das Austrocknen des Sumpfes der Terrorfinanzierung ist ihm ein besonderes Anliegen. Weltweit finanzierten sich Terroristen durch Geldwäsche und Lösegeld aus Geiselnahmen, sagt er. «Wenn die Geldquelle gestoppt wird, hören auch die Terrorakte auf.»

Sein christliches Pendant, Reverend Hayab, ergänzt: «Niemand kann Gewalttaten ausführen, wenn er völlig mittellos ist. Wenn wir den Bösewicht von seinen Einnahmequellen abschneiden, hat er keine Mittel, um Kinder als Soldaten anzuwerben, Jugendliche für Extremismus oder Terroraktionen zu rekrutieren.»

In Nigeria, wo rund die Hälfte der etwa 180 Millionen Einwohner Muslime und 40 Prozent Christen sind, sehen sich die Geistlichen in der Pflicht: «Die meisten Täter sind entweder Christen oder Muslime, besuchen eine Kirche oder eine Moschee», sagt Yusuf Wushishi, Generalsekretär des Rates der Christen in der Wirtschaftsmetropole Lagos. «Als Persönlichkeiten aus Religion und Zivilgesellschaft müssen wir uns fragen, was wir dagegen tun.» Beim Whistleblowing gehe es nicht nur um Informationen an die Korruptionsbehörden, sondern auch darum, die Themen auf anderen Wegen offenzulegen und in die Predigten einzubinden. Auch in den konfessionellen Schulen soll Korruption Thema werden.

Und auch Frauenorganisationen haben sich der Kampagne angeschlossen. Hayia Amina Omoti vom Bundesverband muslimischer Frauenvereine will insbesondere die Frauen ansprechen, die «ebenfalls bis zum Hals in den schmutzigen Geschäften stecken». Aber sie fordert ihre Mitstreiterinnen zudem auf, ein Auge auf die Geldquellen ihrer Söhne, Brüder und Ehemänner zu werfen: «Wir Frauen müssen lernen, Fragen zu stellen und es wagen, unseren Lieben zu sagen: Das ist Korruption!»

Nach dem Informationsfreiheitsgesetz in Nigeria werden Hinweisgeber vor zivilrechtlicher Anklage, strafrechtlicher Verfolgung sowie möglicher Benachteiligung am Arbeitsplatz geschützt. Im Dezember letzten Jahres stimmte die Nationalversammlung für ein Ergänzungsgesetz, das einem Whistleblower 2,5 bis 5 Prozent der sichergestellten Summe aus Korruptionsfällen oder aus Diebstählen öffentlicher Gelder zuspricht. In den vergangenen drei Monaten hat das Finanzministerium 154 verwertbare Informationen von insgesamt 282 Hinweisen bekommen. Der letzte Tipp führte zur Sicherstellung von umgerechnet etwa 32 Millionen Euro.

Ob der Erfolge diskutiert das Parlament über eine weitere Ergänzung, um Informanten für illegalen Waffenhandel zu gewinnen. Die Ecowas sehe Nigeria als Vorreiter in Sachen Whistleblowing, erklärt der Direktor der Wirtschaftsgemeinschaft, Eyesan Okorodudu. Der muslimische Dachverband JNI hofft auf einen Lerneffekt in anderen Ländern.

Nigeria könne Trendsetter sein, sagt Generalsekretär Khallid Abuabakar Aliyu. «Zum ersten Mal haben Regierungskreise das Konzept des Whistleblowing akzeptiert. Es werden sogar Belohnungen ausgelobt. Aber selbst ohne die Anreize haben Leute angefangen, Korruption anzuzeigen, weil es den Reichtum unseres Landes betrifft.» (epd)