Zuckerbrot und Peitsche

Abgesehen vom Golfstaat Bahrain blieben die ganz großen Proteste in der Region bislang aus. Doch auch am Golf sind die politischen Verhältnisse in Bewegung und die Herrscher geraten zunehmend unter Legitimationsdruck. Ein Überblick von Matthias Sailer

Von Matthias Sailer

Auch wenn der gegenwärtige Medienfokus vor allem auf Libyen und Syrien liegt: Das politische "Erwachen" des Nahen und Mittleren Ostens setzt längst auch die ansonsten eher ruhigen und abseits des Scheinwerferlichts thronenden Herrscher der Golfstaaten unter Druck.

Im winzigen Königreich Bahrain gingen Mitte Februar hunderttausende Menschen auf die Straße, wohingegen in Qatar und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) Demonstrationen bisher völlig ausblieben.

In Saudi-Arabien gab es kleinere, schnell von den Sicherheitskräften eingedämmte Proteste und lediglich im Oman reagierte der Sultan auf die Forderungen einiger tausend Demonstranten mit der Ankündigung vorsichtiger politischen Reformen.

Woran liegt es, dass die Demokratiebewegungen in den Golfmonarchien bisher kaum Erfolge vorweisen können? Diese Frage sollte den Westen allein schon aus ökonomischem Eigeninteresse bewegen, da diese Staaten, die zusammen mit Kuwait den Golfkooperationsrat (GKR) bilden, über 40 Prozent der weltweiten Öl- und 23 Prozent aller Gasreserven verfügen.

Tagung des Golf-Kooperationsrats ; Foto: AP
Machtvolles politisches Gremium: Dem Golf-Kooperationsrat gehören Bahrain, Qatar, Kuwait, Oman, Saudi-Arabien und die VAE an.

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Politische Führungsrolle

Ihre Staatsfonds bewahrten während der Finanzkrise zahlreiche europäische und amerikanische Großunternehmen vor dem Bankrott und auch politisch übernehmen Qatar & Co. im Nahen und Mittleren Osten zunehmend eine Führungsrolle, die sie zuletzt durch ihr einiges Werben in der sonst so zerstrittenen Arabischen Welt für eine Flugverbotszone über Libyen unter Beweis gestellt haben.

Die Ursachen für die Umstürze in Tunesien und Ägypten und auch für die aktuellen Kämpfe in Libyen waren zweifacher Natur: einerseits leiden die Menschen an sozioökonomischen Problemen (an Arbeitslosigkeit und mangelnder staatliche Sozialversorgung), andererseits unter einem Mangel an sozialen Freiheiten. Die allgegenwärtige Korruption und die offene Verschwendungssucht der tunesischen Herscherclique wirkten darüber hinaus wie ein Katalysator für die Wut in der Bevölkerung.

Sozioökonomische Absicherung

Auch in den Golfmonarchien existiert Arbeits- und Perspektivlosigkeit, vor allem für die große Zahl an teilweise gut ausgebildeten Jugendlichen – jedoch in viel geringerem Ausmaß. Durch die hohen Öl- und Gaseinnahmen verfügte Qatar 2010 z.B. über ein geschätztes Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf von atemberaubenden 68.000 US-Dollar.

Die Situation in den VAE ist ähnlich. Durch kluge und weitsichtige Wirtschaftspolitik ist die Diversifizierung beider Wirtschaftssysteme weg vom Öl seit Jahren immer weiter vorangeschritten. Nirgendwo ist dies deutlicher sichtbar als in Dubai, wo der Ölsektor 2006 gerade noch 5,1 Prozent am gesamten BIP ausmachte.

Beide Regierungen gaben einen Teil dieses neuen Reichtums an die eigene Bevölkerung in Form vieler Privilegien weiter, so dass sich Emiratis und Qataris kaum ernsthafte Sorgen um Ihr finanzielles Auskommen machen müssen.

Aber viele Mitglieder der jungen Generation sind dennoch frustriert, da sie trotz guter Ausbildung im Wettbewerb mit den vielen ausländischen Gastarbeitern oftmals unterliegen und nicht den gewünschten Arbeitsplatz finden. Zum Teil wird diese Frustration durch die vielen sozialen Freiheiten kompensiert, die Qataris und Emiratis genießen – ganz anders als dies im Ägypten unter Mubarak oder im Tunesien unter Ben Ali der Fall war.

Der "schlechte Ruf der Demokratie"

Qataris und Emiratis sind folglich überwiegend stolz auf die Leistungen ihrer Herrscher, die Opposition gegen das Herrscherhaus daher eher gering. Der Blick auf die schief gegangenen Demokratieexperimente im Irak oder in Gaza macht diese Staatsform für die Bewohner der VAE und Qatars zudem alles andere als erstrebenswert.

Auch das gewählte, einflussreiche Parlament des demokratischsten Staates am Golf, Kuwait, wird entsprechend weniger als positive Errungenschaft, sondern vielmehr als Ursache für politische Instabilität und ökonomische Schwäche angesehen.

Dennoch haben auch die Herrscher dieser Staaten prophylaktisch den Geldhahn aufgedreht und investieren seit Beginn der Aufstände noch mehr als sonst, um die materiellen Bedürfnisse Ihrer Untergebenen zu befriedigen. Und trotzdem gab es vorsichtige Forderungen nach mehr Demokratie.

Zwei Petitionen, die mehr Demokratie in den VAE forderten, führten im April zur Festnahme von fünf Demokratie-Aktivisten, darunter auch ein Dozent an der Tochteruniversität der französischen Sorbonne in Abu Dhabi.

Vor diesem Hintergrund überrascht es auch nicht, dass das Emirat Dubai dem seit zehn Jahren im Emirat ansässigen Golfforschungszentrum, einem der renommiertesten sozialwissenschaftlichen Think Tanks in der Region, eine Verlängerung seiner Lizenz verweigerte.

Weit weniger friedlich geht es im benachbarten Bahrain zu. Als dort Mitte Februar Hunderttausende für politische Reformen, die Einhaltung der Menschenrechte und gegen Korruption auf die Straße gingen, reagierte das Regime mit überraschender Härte, wodurch zwischen dem 14. und 17. Februar sieben Protestler zu Tode kamen.

Proteste in Bahrain im Februar 2011;  Foto: AP
Heikle Situation: Sollte es zu keinen spürbaren politischen Reformen oder zumindest einem Ende der wirtschaftlichen und sozialen Diskriminierung der Schiiten kommen, werden die momentan mit Gewalt unterdrückten Proteste früher oder später erneut aufflammen, meint Matthias Sailer.

​​Am 14. März intervenierten Saudi-Arabien und die VAE unter Berufung auf ein gegen äußere Feinde gerichtetes militärisches Beistandsabkommen des GKR mit der Entsendung von 1.500 Soldaten nach Bahrain. Die Proteste wurden mit Gewalt unterdrückt und eine umfassende Einschüchterungs- und Verhaftungswelle von Aktivisten, Bloggern, Ärzten und Journalisten gestartet.

Schiitisch-sunnitsche Spannungen

Der Emir von Bahrain sprach denn auch schnell von einer "iranischen Verschwörung" gegen Bahrain, die schon seit 20 bis 30 Jahren  andauern würde und im Rahmen derer der schiitische Iran die Proteste initiiert hätte.

Diese unglaubwürdige Behauptung passt in die Strategie des sunnitischen Regimes, ganz gezielt religiöse Spannungen zwischen der ökonomisch und politisch diskriminierten schiitischen Bevölkerungsmehrheit und der sunnitischen Minderheit zu schüren, um das Entstehen einer geeinten Opposition zu verhindern.

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Hintergrund ist, dass das rohstoffärmere und von Saudi- Arabien finanziell abhängige Bahrain über keinen Geldhahn mehr verfügt, den es aufdrehen könnte, um Unruhen mit Geld zu ersticken.

Shadi Hamid, Forschungsdirektor des Brookings Doha Center in Qatar, sagt, dass durch das kontinuierliche Berichten des Staatsfernsehens über angeblich subversive Absichten der Schiiten diese von immer mehr Sunniten als glaubwürdig angesehen würden.

"Protest ist unislamisch"

Das ölreiche Saudi-Arabien wurde lediglich mit einigen kleineren Protesten in der östlichen Schiitenregion an der Grenze zu Bahrain konfrontiert, reagierte aber wie die VAE und Qatar mit einem weiten Aufdrehen des Geldhahns und mit der Unterdrückung der Proteste durch den Sicherheitsapparat.

Unzufriedenheit wird in Saudi-Arabien zudem durch die Unterstützung des äußerst konservativen Klerus ("Protest ist unislamisch") und durch den riesigen Sicherheitsapparat im Zaum gehalten.

Als Irans regionaler Gegenspieler hat Saudi-Arabien ebenfalls ein Interesse daran, eine aggressive Politik gegenüber Iran zu verfolgen, und nachdem die USA ihren einstigen Verbündeten Mubarak im Stich gelassen haben, agiert Saudi-Arabien zunehmend emanzipiert von seiner Schutzmacht – wohlwissend, dass die USA auf Saudi-Arabiens Öl und auf dessen Unterstützung gegen das iranische Atomprogramm dringend angewiesen sind.

Die USA haben kein Interesse an einer Konfrontation mit den verbündeten Golfstaaten, und weil der Sender Al Jazeera in der Hand von Qatar ist, fehlt den Demokratiebewegungen am Golf ein wesentlicher Katalysator – die Berichterstattung über die blutige Niederschlagung in Bahrain blieb äußerst dürftig.

Mit dem einseitigen Fokus auf den Iran als existentielle äußere Bedrohung können die Golfstaaten autoritäre Maßnahmen vor ihren Untergebenen, aber auch auf internationaler Ebene gut verkaufen. Dass der Konflikt zwischen den arabischen Golfstaaten und dem Iran damit weiter angeheizt wird, ist ein besorgniserregender Nebeneffekt.

Ausblick

Aufgrund der um sich greifenden Revolten, ist den Regenten der Golfstaaten sehr daran gelegen, ihre sozioökonomischen Probleme in den Griff zu bekommen. In den VAE und in Qatar ist zunächst ein zunehmend autoritäres Verhalten gegenüber Oppositionellen wahrscheinlich. Vorsichtige politische Reformen dürften allenfalls Schritt für Schritt von oben eingeleitet werden. In Saudi-Arabien dürfte die Entwicklung ähnlich aussehen.

Die Situation in Bahrain ist schwieriger: Sollte es zu keinen spürbaren politischen Reformen oder zumindest einem Ende der wirtschaftlichen und sozialen Diskriminierung der Schiiten kommen, werden die momentan mit Gewalt unterdrückten Proteste früher oder später erneut aufflammen.

Viel wird auch von den weiteren Entwicklungen in Tunesien, Ägypten und Libyen abhängen – eine positive Entwicklung in diesen Staaten würde die Demokratiebewegungen auch am Golf erheblich stärken.

 Matthias Sailer

© Qantara.de 2011

Mathias Sailer ist Politologe mit dem Schwerpunkt Naher und Mittlerer Osten. Er studierte an der FU Berlin, der University of Oxford und der "School of Oriental and African Studies" in London. Zu seinen Veröffentlichungen zählt u.a. eine Monographie über die polit-ökonomische Entwicklung Dubais am Golfforschungszentrum in Dubai.

Redaktion: Arian Fariborz & Lewis Gropp/Qantara.de