Nach Einigung mit der Türkei: Moskau droht Kurdenmiliz YPG

Russische Patrouillen sind unterwegs und setzen ein neues Abkommen mit der Türkei in Nordsyrien um. Die scheint nun weitgehend zu bekommen, was sie will: eine Pufferzone entlang ihrer Grenze. Ist nun die Nachkriegsordnung in Syrien festgelegt?

Nach der russisch-türkischen Einigung über eine gemeinsame Kontrolle von Grenzgebieten in Nordsyrien hat Moskau die Kurdenmiliz YPG massiv unter Druck gesetzt. Sollte die Miliz mit ihren Waffen nicht aus den Gebieten abziehen, würden «die verbleibenden kurdischen Formationen ... von der türkischen Armee in der Tat zermalmt», sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Mittwoch der Agentur Tass zufolge.

Gleichzeitig sind Einheiten der russischen Militärpolizei Richtung Nordostsyrien vorgerückt. Das teilte das Verteidigungsministerium in Moskau am Mittwoch mit. Demnach hätte ein Konvoi um 12.00 Uhr Ortszeit den Fluss Euphrat überquert und fahre Richtung Norden, hieß es der Agentur Tass zufolge. Syrische Militärkreise berichteten, russische Militärpolizisten seien mit vier Fahrzeugen in die Grenzstadt Kobane eingerückt. Die kurdische Miliz YPG hatte die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) im Frühjahr 2015 aus Kobane vertrieben. In der vergangenen Woche hatten die bislang mit den Kurden verbündeten US-Truppen ihren dortigen Stützpunkt verlassen.

Am Dienstagabend hatten sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und Kremlchef Wladimir Putin in Sotschi über einen weiteren Abzug der YPG aus Grenzgebieten geeinigt. In dem Abkommen wurde eine 150-Stunden-Frist (rund sechs Tage) gesetzt, die auf eine neue Waffenruhe in Grenzgebieten hinausläuft. Am Dienstagabend war eine erste, von den USA ausgehandelte Feuerpause und Abzugsvereinbarung ausgelaufen.

Die Einigung mit Russland sieht vor, dass ab Mittwochmittag 12.00 Uhr Ortszeit russische Militärpolizei und syrische Grenzeinheiten den Abzug der YPG kontrollieren. Nach dem Abzug sollen gemeinsame Patrouillen mit der Türkei beginnen. Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu sagte am Mittwochmorgen im Gespräch mit der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu, diese seien wichtig, um zu verhindern, dass YPG-Kämpfer über die Grenze in die Türkei gelangten und um deren Infrastruktur zu zerstören. Für die Patrouillen gebe es keine zeitliche Limitierung.

Wie viele YPG-Kämpfer in den sechs für den Abzug vorgesehenen Tagen den Grenzstreifen mit der Türkei verlassen sollen - und wohin sie gehen -, blieb unklar. Auch das Ausmaß des genauen Abzugsgebiets wurde in dem Dokument, das auf ein einzelnes Blatt Papier passt, nicht eindeutig beschrieben.

Einem vagen Paragrafen zufolge sollen die Kämpfer aus einem 30 Kilometer tiefen Grenzstreifen abziehen. In der Breite sind Gebiete «außerhalb» eines Areals gemeint, in dem die Türkei militärisch bereits aktiv war und wo die Kurdenmiliz nach US-Angaben vom Dienstagabend bereits vollständig abgezogen sein soll. Das dürfte sich auf das Areal zwischen den syrischen Städten Tall Abjad und Ras al-Ain östlich des Euphrat-Flusses beziehen. Dort will die Türkei die Kontrolle behalten. Aber auch aus den Städten Manbidsch und Tal Rifat westlich des Euphrat sollen «alle YPG-Elemente und ihre Waffen entfernt werden».

Mit den beiden Abkommen kommt die Türkei ihrem Ziel einer sogenannten Sicherheitszone an der Grenze sehr viel näher und gewinnt, nach massiven internationalen Protesten gegen ihre Militäroffensive, eine Schlacht ohne weiterkämpfen zu müssen. Außenminister Cavusoglu sagte im Gespräch mit Anadolu: «Die zwei mächtigsten Länder der Welt haben (somit) die Legitimität der Offensive Friedensquelle anerkannt.»

Die Türkei hatte ihre «Friedensquelle» benannte Offensive gegen die Kurdenmiliz YPG am 9. Oktober begonnen. Die Türkei betrachtet die YPG, die an der Grenze zur Türkei ein großes Gebiet kontrolliert, als Terrororganisation. Ziel der Offensive war es, entlang der Grenze eine Zone unter ihrer alleinigen Kontrolle zu schaffen, aus der sich alle Kurdenmilizen zurückziehen sollten. Aus Sicht der Türkei sollte diese rund 30 Kilometer tief sein und sich ab dem Euphrat ostwärts über mehr als 400 Kilometer bis an die irakische Grenze erstrecken.

Mit der russisch-türkischen Vereinbarung scheint die Türkei nun einige Abstriche bei der Kontrolle der Zone hinzunehmen. Zum Beispiel sollen die gemeinsamen Patrouillen mit Russland nur zehn, nicht 30 Kilometer tief, auf syrisches Territorium vordringen.

Die Einigung zeige, dass Russland «die Ordnungsmacht des Nahen und Mittleren Ostens» geworden sei, sagte der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat im Radioprogramm SWR Aktuell am Mittwoch. Von Vorschlägen, die Türkei wegen der Invasion Nordsyriens aus der Nato auszuschließen, hält Kujat nichts. Man müsse vielmehr versuchen, mit Ankara eine für die Verbündeten akzeptable Regelung zu finden. «Die Nato muss sich eben auch stärker einbringen, wenn es um solche Fälle geht, wie wir sie im Augenblick haben in Nordsyrien», sagte der frühere Nato-General. (dpa)