Mutige Autorinnen: Indonesien will Lesekultur stärken

Überwiegend muslimisch und doch tolerant: Das will Indonesien sein. Nach Rückkehr zur Demokratie haben vor allem Frauen für den literarischen Aufbruch gesorgt. Der dunklen Vergangenheit muss sich das Land auch auf der Frankfurter Buchmesse stellen. Von Thomas Maier

Mit 3.000 Büchern an Bord schippert Muhammad Ridwan zu den kleinen Eilanden, die der großen indonesischen Insel Sulawesi vorgelagert sind. Der 36-Jährige hat seinen Job als Lehrer hingeschmissen und besucht jetzt mit seiner schwimmenden Bibliothek die verstreuten Siedlungen auf den oft winzigen Inseln.

«Die Kinder lesen am liebsten Comics», weiß Ridwan. Er geht mit seinem spendenfinanzierten Boot in der Regel jeweils drei Tage vor Anker.  Es sind solche Initiativen, die Indonesien mit seinen mehr als 17.000 Inseln dringend braucht. Die Lesekultur im 250-Millionen-Land, bevölkerungsmäßig das viertgrößte der Welt, ist unterentwickelt. Wenn es Bibliotheken in Schulen gibt, dann sind sie kümmerlich ausgestattet. Bücher sind außerdem teuer. Neben islamisch-religiöser Unterhaltungsliteratur beschränkt sich die etablierte Lesekultur auf die obere Mittelschicht in den Metropolen wie der Hauptstadt Jakarta.

Der Auftritt als Ehrengast der Frankfurter Buchmesse (13.-18. Oktober) soll dem Land, das in Deutschland gerne mit der Bali-Romantik assoziiert wird, einen Schub geben. Der Wirtschaftsaufschwung der vergangenen Jahre hat Indonesien auch für den globalen Buchmarkt interessant gemacht. Die junge Bevölkerung ist hungrig nach Informationen: Bei der Nutzung der sozialen Netzwerke des Internets rangieren die Indonesier in Statistiken weltweit vorne.

«Dass die Leute nicht viel lesen, dafür ist die jahrzehntelange Vernachlässigung der Bildung verantwortlich», sagt der Dichter Goenawan Mohamad, Organisator des indonesischen Auftritts in Frankfurt. Die Regierung will das Lesen auch in Indonesien zur Kulturtechnik machen, verspricht Kulturminister Amies Basweda. In den Schulen soll jeden Tag zehn Minuten frei gelesen werden. Eltern werden dazu animiert, mit Kindern zu Hause zu lesen.

Märchen und Sagen aus den altindischen Epen sind der indonesischen Kultur seit vielen Jahrhunderten vertraut. Doch eine gemeinsame Sprache besitzt der 1945 gegründete Staat mit seinen fast 400 Völkern und noch mehr Sprachen erst seit 1928. Heute ist das Malaiische die Landessprache. Bahasa Indonesia, das auch für Europäer gut erlernbar ist, wird inzwischen fast überall auf den Inseln verstanden. Traditionell gilt die Liebe der Indonesier der Dichtung. Die moderne Literatur wurde dann zum Mittel im Kampf gegen die niederländischen Kolonialherren.

Weltweit bekannt wurde Pramoedya Ananta Toer (1925-2006), der nach dem Militärputsch von General Suharto 1965 auf die berüchtigte Gefängnisinsel Buru deportiert wurde und dort seine berühmtesten Werke schrieb. Er war auch mehrfach für den Literaturnobelpreis im Gespräch.

Der politische Frühling (reformasi) nach dem Ende der Militärdiktatur 1998 hat auch der Literatur Auftrieb gegeben. Es waren erstaunlicherweise vor allem Frauen, die in ihren Werken über wirtschaftliche Ausbeutung, religiöse Bevormundung und sexuelle Emanzipation offen schrieben. Mit ihrem Roman «Saman» aus dem Jahr 2000 hat die heute 46-jährige Ayu Utami eine ganze Generation beeinflusst.

Einen aktuellen Bestseller über die Massaker während der Militärdiktatur, denen Hunderttausende von Kommunisten und Dissidenten zum Opfer fielen, hat Laksmi Pamuntjak geschrieben. Die Autorin Linda Christanty legt sich mit islamischen Fundamentalisten in ihrer Heimatprovinz Aceh an. Das zu 90 Prozent muslimische Indonesien steht generell für einen toleranten Islam. Doch in den vergangenen Jahren hat der religiöse Fundamentalismus – unterstützt vor allem von Saudi-Arabien - Zulauf erhalten.

Bekanntester Autor des Landes ist Andrea Hirata, der mit seiner Autobiografie einen Welterfolg erzielt hat. Es ist der Roman eines armen Jungen auf einer Insel, der mit seinen Freunden von der «Regenbogentruppe» für mehr Bildung kämpft. Auch Hirata kommt zur Buchmesse - mehr als 60 Autoren schickt Indonesien nach Frankfurt und in andere deutsche Städte.

Bürokratische und finanzielle Probleme bei den Indonesiern haben allerdings dafür gesorgt, dass zur Messe nur wenige Bücher ins Deutsche übersetzt werden. Es sind ohnehin vor allem rührige Kleinverlage wie Horlemann, die sich seit Jahren um die indonesische Literatur kümmern.

Auf der Buchmesse wollen Indonesier in speziellen Seminaren für ihren toleranten Islam werben. Auch die dunkle Vergangenheit des Landes - in Wirtschaft und Verwaltung sind zum Teil immer noch dieselben Leute an der Macht wie in der Militärdiktatur - wird ein großes Thema. «Die Regierung sollte anerkennen, dass es Massaker gab», sagt Autorin Pamuntjak.

In Den Haag wollen im November zum 50. Jahrestag der Massaker niederländische und indonesische Juristen ein «Tribunal» zu den damaligen Ereignissen organisieren. (dpa)

Mehr Informationen in unserem Qantara-Dossier: Indonesien – Ehrengast der Frankfurter Buchmesse