Muslimische Kindergärten als Zankapfel in Österreichs Wahlkampf

In Wien hat jeder zweite Einwohner einen Migrationshintergrund. Darunter sind viele Muslime. Deren Zahl wächst. Nicht von ungefähr geraten die sogenannten islamischen Kindergärten ins Visier der Politiker im Wahlkampf. Von Albert Otti

Es sind schätzungsweise 10.000 Kinder, die in Österreich für Unruhe sorgen. Sie besuchen in Wien muslimische Kindergärten. Ihre Eltern scheinen nach Meinung mancher Politiker damit schon früh zu signalisieren: Integration, nein danke! Wenige Monate vor der Nationalratswahl hat die konservative ÖVP mit ihrem Spitzenkandidaten Sebastian Kurz diese Einrichtungen erneut ins politische Visier genommen.

«Es braucht sie nicht. Es soll keine islamischen Kindergärten geben», bekräftigte der 30-jährige Außen- und Integrationsminister unlängst bei einer Diskussion. Es wird suggeriert: Solche Kindergärten sind Stätten von Indoktrination, sozialer Isolation und Sprachdefiziten. Drei Monate vor den Parlamentswahlen haben die Parteien eines der Themen gefunden, die wohl die nächsten Wochen prägen werden.

Kurz' Idee, solche Einrichtungen zu schließen, stieß umgehend auf Kritik bei muslimischen Verbänden, Sozialdemokraten und Grünen. Die rechte FPÖ befand, der Minister greife eine Position auf, die die Rechtspopulisten schon lange vertreten würden. Die Debatte ist nicht ganz neu. Eine Kindergarten-Studie des Islamwissenschaftlers Ednan Aslan von der Universität Wien, finanziert vom Außenministerium, hatte vor einem Jahr für Zündstoff gesorgt.

Auf rund 180 Seiten beschreibt der Forscher, dass im rot-grün regierten Wien 10.000 Kinder in mehr als 120 Einrichtungen untergebracht sind, die von einzelnen Moslems oder muslimischen Verbänden getragen würden. Darunter seien auch Salafisten und Gruppierungen mit politischen Zielen. Zwar räumte Aslan ein, dass er eine etwaige Wirkung der politischen Ansichten der Träger auf die Kinder nicht untersucht habe, stellte aber zugleich fest: «Die in der Studie kurz angeführte Darstellung der Ideologie der Vereine bzw. dieser Akteure schlägt sich zweifellos auf die Pädagogik nieder.»

Das Thema gewann diesen Juli an Schärfe, als das linksliberale Magazin «Falter» nach genauer Analyse der Dokumente zu dem Schluss kam, dass das Ministerium wesentliche Aussagen Aslans umgeschrieben und damit in seinem Sinne dramatisiert habe. «Frisiersalon Kurz», titelte das Blatt. Doch Aslan ließ wissen, dass er an den Korrekturen nichts auszusetzen hatte. Und auch Kurz reagierte gelassen. «Ich brauche keine Studien mehr, um zu wissen, dass das falsch läuft, was da abläuft», meinte er in einem TV-Interview.

Manche der Ursprungs-Sätze, die vom «Falter» als geändert benannt wurden, tauchen an anderer Stelle der Studie auf. Jetzt will die Universität Wien klären, ob wissenschaftliche Standards verletzt wurden. Von dem Wirbel sind die Betreiber der Kindergärten nicht unberührt. Viele haben auf ihren Homepages jeden Hinweis auf den Islam getilgt.

Auch im Kindergarten Juwa in Wien-Brigittenau, einem Bezirk mit besonders hohem Ausländeranteil, fehlen offenkundige Verweise auf den Gründer, die Islamische Föderation in Wien. Sie steht in Verbindung mit der konservativ-islamischen Milli-Görüs-Bewegung.

Ali Kaya ist der Chef der sechs Juwa-Einrichtungen mit insgesamt rund 300 Kindern. Von einer streng religiösen oder gar politischen Beeinflussung will er nichts wissen. Allerdings korrespondierten die vermittelten Werte mit dem Islam, sagt der 30-Jährige. «Das ist für mich wichtig, dass die Kinder wissen, was Moral ist, was Ethik ist, was Anstand bedeutet, wie man sich gegenüber Eltern verhält», sagte er.

Der Bedarf an Kindergärten im multi-ethnischen Wien war 2010 gewachsen, als Österreich ein verpflichtendes Kindergartenjahr einführte. Auch muslimische Verbände sprangen in die Bresche und boten Betreuung und spezielle Kost für muslimische Kinder an. Gerade das Vertrauen in das der Religion angepasste Essen hat nach Ansicht von Kaya die Eltern überzeugt.

Die nicht-muslimischen Einrichtungen in der Millionen-Metropole waren auf die Situation nicht wirklich eingestellt. Die Pädagogik-Forscherin Helena Stockinger von der Katholischen Privat-Universität Linz verweist auf Mängel in der multikulturellen Ausbildung von Erzieherinnen und Erzieher. «Im Rückblick war der Umgang mit anderen Religionen kein Thema», sagte sie.

Wie delikat schon der Teil-Aspekt «Essen» in der Öffentlichkeit ist, erfuhren leidvoll die städtischen Kindergärten in Salzburg. Der Privatsender Servus TV hatte einen Bericht gesendet, dass die dortigen Einrichtungen mit Rücksicht auf Migrantenkinder Schweinefleisch von der Karte gestrichen hätten. Ein Vorgang, den fast alle Österreicher laut Umfragen ablehnten.

Die ÖVP machte sich schnell über den «Schnitzel-Erlass» lustig, die FPÖ sah einen Versuch, «für Zuwanderer ein entsprechendes Essensangebot zu schaffen». Dabei handelte es sich von Seiten der Betreiber nicht um eine Reaktion auf aktuelle Bedürfnisse von Migranten. Vielmehr wird in Salzburg seit fünf Jahren kein Schweinefleisch mehr serviert.

Die Stadt Wien ist angesichts der Debatte unter Rechtfertigungsdruck. Die Qualitätskontrollen seien verschärft worden, versichert der für Bildung und Integration zuständige Stadtrat, Jürgen Czernohorszky.

Erzieher mit schlechten Deutschkenntnissen würden nicht mehr akzeptiert. Darüber hinaus seien Finanzprobleme der Betreiber ein Grund für die Schließung von 31 Kindergärten im vergangenen Jahr gewesen, sagte Czernohorszky. Die Kontrolleure der Stadt hätten im übrigen keine einzige Einrichtung aufgespürt, die die Kinder islamistisch indoktriniere.

Allerdings machen Lehrer immer wieder die Erfahrung, dass kulturell abgeschottet aufwachsende Kinder in Wien große Sprachdefizite haben, wenn sie erstmals die Schulbank drücken. Die Integration sei eine riesengroße Herausforderung, räumt Czernohorszky ein. «Jeder wäre völlig naiv und blind, der sagt, es gibt nichts zu tun.» (dpa)

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