Muslime kritisieren Kopftuch-Urteil von Europäischem Gerichtshof
Die Richter pochen in ihrer Entscheidung auf die Gleichbehandlung der Religionen - und setzen das Kopftuch mit Kreuz und Kippa gleich. Trotzdem wittern Muslime einmal mehr Diskriminierung.
Bonn. Das jüngste Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Rechtmäßigkeit von Kopftuchverboten am Arbeitsplatz sorgt bei muslimischen Vertretern im In- und Ausland für heftige Kritik. Pauschale Verbote seien damit zwar ausgeschlossen, sagte der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD), Aiman Mazyek. "Aber das Signal ist integrationspolitisch zweifelhaft vor dem Hintergrund der so wesentlichen Rechtsgüter wie der Religionsfreiheit und dem Selbstbestimmungsrecht der Frau." Der EuGH untergrabe weiter das Recht muslimischer Frauen auf ein gleichberechtigtes Leben und Arbeiten, meinte der Generalsekretär der türkisch-nationalistischen Organisation Milli Görüs, Bekir Altas.
Der Sprecher des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan reagierte mit der maßlos-grotesken Polemik, die man inzwischen aus Ankara gewöhnt ist. Demnach breitet sich "der Faschismus soeben auf die Gerichte" der EU aus. Europa umarme seine "dunkle Vergangenheit, statt sie anzuprangern". Man verurteile diese Entscheidung, die "gegen die Menschenwürde" verstoße, so der Präsidentensprecher.
Doch was steht wirklich in dem Urteil, das die Luxemburger Richter vergangene Woche verkündeten? Zwar erlaubt es unter bestimmten Umständen ein Kopftuchverbot, doch die Hürden für Arbeitgeber sind hoch. Sie müssen nachweisen, dass der islamische Schleier den Neutralitätserwartungen ihrer Kunden widerspricht, der soziale Friede im Betrieb ohne ein Verbot gefährdet wäre und dem Unternehmen sonst Nachteile entstehen. Vor allem fordert der EuGH die strikte Gleichbehandlung der Religionen. Wer also den Hidschab verbietet, muss auch christliche Kreuzanhänger und jüdische Kippas vom Arbeitsplatz verbannen - ungeachtet der sehr verschiedenen Sichtbarkeit und Inhalte dieser Symbole. "Antimuslimischer Rassismus" und "Aufstachelung zum Islamhass", den die Kritiker des Urteils nun wieder ins Feld führen, sieht anders aus.
Insgesamt bestätigte der EuGH lediglich sein erstes, ähnlich lautendes arbeitsrechtliches Urteil aus dem Jahr 2017. Im jetzigen Fall hatten sich deutsche Gerichte an Luxemburg gewandt. Anlass waren die Klagen zweier Musliminnen, denen ihre Arbeitgeber, eine weltanschaulich neutrale Kita und die Drogeriemarktkette Müller, das Tragen des Kopftuchs im Job untersagt hatten.
Das Urteil fällt in eine Zeit, in der das Bewusstsein für die Gefahren des politischen Islam in Deutschland wächst, auch auf der politischen Entscheidungsebene. Islamkritikern gilt das Kopftuch als dessen sichtbarstes Zeichen in der Öffentlichkeit, das wenig mit Religionsfreiheit und dem "Selbstbestimmungsrecht der Frau" zu tun hat, dafür viel mit Abschottung und der sexualisierten Frauendiskriminierung eines patriarchalisch geprägten Islam.
Gerade Verbände wie der eingangs zitierte ZMD, Milli Görüs und die ebenfalls aus der Türkei gesteuerte Ditib stehen längst massiv im Verdacht, die Integration von Muslimen gezielt zu hintertreiben und Parallelgesellschaften zu verfestigen. Auch Herrn Erdogan, der soeben aus der Istanbul-Konvention gegen häusliche Gewalt ausgetreten ist und sich als Schutzherr der Muslime in Europa präsentiert, geht es kaum um weibliche Selbstbestimmung, sondern um die Ausbreitung eines rigiden Islam, von dem er sich wachsenden Einfluss im Westen verspricht.
Muslimische Frauen und Mädchen aus traditionellen Milieus, das zeigen viele Berichte, stehen oft unter familiärem und sozialem Druck, das Kopftuch zu tragen. Da erscheint indes das Argument nicht ganz aus der Luft gegriffen, dass ein Kopftuchverbot gerade diesen Frauen den Weg in die Arbeitswelt und damit eine Berührung mit der Mehrheitsgesellschaft versperrt. Laut jüngsten Zahlen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge sind nur etwa ein Viertel der Musliminnen in Deutschland verschleiert, bei den Frauen unter 30, auch den gläubigen, sind es noch weniger. Demnach ist offenbar die Auffassung muslimischer Reformtheologen weit verbreitet, dass weder der Koran noch glaubwürdige Prophetenüberlieferungen (Hadithe) die Bedeckung der Haare als religiöse Pflicht fordern.
All diese Streitfragen lässt das EuGH-Urteil gemäß seinem Neutralitätsgebot außen vor, indem es das Kopftuch trotz seiner gesellschaftspolitischen Aufladung als religiöses Symbol wie jedes anderes behandelt, und sei es nur der kaum sichtbare Kreuzanhänger um den Hals. Darin mag mancher eine gewisse Ignoranz erkennen. Natürlich kann es aber nicht Aufgabe eines säkularen Gerichts sein, innerreligiöse Debatten zu befeuern.
Unterstützung erhielten die Kritiker des Urteils von der Europäischen Rabbinerkonferenz, die darin ebenfalls eine Diskriminierung von Minderheitsreligionen erkennen will - was der egalitären Entscheidung aber eben nicht gerecht wird. Die katholische Kirche, die im Namen der Religionsfreiheit stets auf der Seite der Kopftuchbefürworter steht, ließ das Urteil bisher unkommentiert.
Entschieden ist de facto noch nichts. Das Gericht betonte ausdrücklich, dass nationale Instanzen schärfere Vorschriften der Mitgliedsstaaten zum Schutz der Religionsfreiheit berücksichtigen können. (KNA)