Im Schatten der Rezession

Die Zeiten des Wirtschaftsbooms des "Keltischen Tigers", die viele muslimische Facharbeiter dazu veranlassten nach Irland auszuwandern, sind längst vorbei. Die Folgen der dramatischen Wirtschaftskrise bekommen nun auch immer mehr muslimische Gemeinden zu spüren. Von Joseph Burke

Eingezwängt zwischen einem chinesischen Schnellrestaurant und einem Internetcafé befindet sich Limericks Al-Noor-Moschee. Wie bei irischen Muslimen üblich, nutzt die Gemeinde von Limerick Räumlichkeiten, die eigentlich nicht für die Einrichtung von Moscheen gedacht waren. Vom Fenster im ersten Stock aus kann man die St. Johns-Kathedrale sehen, eine katholische Kirche aus dem Jahr 1861 mit dem höchsten sich nach oben hin verjüngenden Kirchturm Irlands. Er wirft einen langen Schatten.

In Europa ist derzeit eine eigenartige Dynamik im Gange. Einerseits überdenkt die europäische Öffentlichkeit ihre veraltete Auffassung von den Beziehungen zwischen Islam und Demokratie vor dem Hintergrund der jüngsten arabischen Erhebungen. Andererseits reagieren viele europäische Regierungen in ihren Ländern auf die beunruhigende Zustimmungswelle für die extreme Rechte, indem sie ihre muslimische Bevölkerung kritischer in Augenschein nehmen.

Man merkt, dass es an der nötigen moralischen Kohärenz mangelt, um die berechtigte Sorge um die Frauenrechte abzuwägen gegen die ernste Gefahr, eine ganze Reihe von unterschiedlichen Gemeinschaften zu ächten.

Diese Dynamik läuft freilich innerhalb einer für die Europäische Union beispiellosen sozioökonomischen Krise ab und wird von dieser verschärft.

Die Zeiten werden härter

Issa Timan, Vorsteher der Al-Noor-Moschee; Foto: Joseph Burke
In Zeiten der Wirtschaftskrise in Irland ist auch die muslimische Gemeinde in Limerick mit Sparzwängen und Finanzsorgen beschäftigt: Issa Timan, Vorsteher der Al-Noor-Moschee

​​Bei Kaffee und einem großzügigen Stück Kuchen beklagt Issa Timan, der Vorsteher der Al-Noor-Moschee, dass "die Zeiten ein bisschen härter werden". Um Miete und Rechnungen zu bezahlen, ist er auf zusätzliche Spenden angewiesen. "Die Wirtschaft ist zusammengebrochen und wir mit ihr", sagt er.

Irlands Selbstverständnis war lange Zeit das eines "Underdogs". Scheitern gehörte zum Schicksal und jeder, der scheiterte, war letztlich ein wenig Ire. Dieses zweifelhafte Bild brach in sich zusammen, als sich in der Folge eines spektakulären wirtschaftlichen Aufschwungs das reale Bruttoinlandsprodukt des Landes innerhalb eines Jahrzehnts verdoppelte.

Diese Jahre des Booms, die heute wie ein Traum erscheinen, bedeuteten eine Phase des tiefgreifenden Umbruchs in der irischen Gesellschaft. Im Zuge einer umfangreicheren Entwicklung der Zuwanderung aus dem Ausland wuchs die Zahl der Muslime in Irland rasant – von 3.875 im Jahr 1991 auf 19.147 im Jahr 2002, im Jahr 2006 waren es bereits 32.539. Eine Wachstumskurve, von der man glaubt, dass sie in einem Staat mit nur 4,2 Millionen Einwohnern Bestand haben wird.

Obwohl Muslime weniger als ein Prozent der irischen Bevölkerung ausmachen, ist der Islam nun die drittgrößte Religion nach dem Katholizismus und der "Church of Ireland". Dies ist insofern bedeutend, da der römisch-katholischen Kirche erst 1972 eine "besondere Stellung" in der Verfassung des Landes eingeräumt wurde.

Während 30 Prozent der Muslime in Irland irische Staatsbürger sind, verteilen sich die übrigen auf etwa 42 Nationalitäten. Die meisten sind Sunniten, aber ungefähr 2.000 Muslime gehören auch der Schia an.

Ein Schwamm für Fachkräfte

Die heutige Gemeinde geht auf aufstrebende Studenten zurück, die in den 1950er Jahren mehrheitlich am Royal College of Surgeons (Institut zur Ausbildung von Chirurgen, Anm. der Red.) eingeschrieben waren.

Für den gegenwärtigen Zuwachs gibt es im Wesentlichen zwei Gründe: Einerseits entwickelte sich Irland zu einem "Schwamm für Facharbeitskräfte" – es gibt etwa 6.000 höher qualifizierte muslimische Arbeitskräfte und weitere 3.000 von ihnen sind Arbeitgeber oder leitende Angestellte. Zum anderen erlangte Irland weithin einen Ruf als sicherer Ort für Flüchtlinge. 2002 ging in Irland der Höchstwert von 11.634 Asylanträgen ein. Lediglich 392 waren es im Jahr 1994.

In der Schuldenfalle: Demonstrationen gegen den strikten Sparkurs der Regierung in Dublin; Foto: AP
Irland in der Schuldenfalle: Immer mehr Iren sehen heute ihre Arbeitsplätze gefährdet und demonstrieren gegen den strikten Haushaltsplan der Regierung. Für die kommenden vier Jahre sind Einsparungen von insgesamt 15 Milliarden Euro vorgesehen.

​​Angesichts des gewaltigen wirtschaftlichen Krise Irlands, die die gesamte Eurozone bedrohte, ist inzwischen ein Teil der etwa 4.000 im medizinischen Bereich beschäftigten Muslime nach direkten oder indirekten Lohnkürzungen und einer Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen wieder ausgewandert.

Ali Selim, Theologe am "Islamic Cultural Centre in Dublin", behauptet jedoch, dass die meisten Muslime von der Krise verschont wurden, da sie auf die billigen Kredite verzichteten, die vielen irischen Haushalten zum Verhängnis wurden: "Unsere Religion hat uns davor bewahrt."

Zunahme rassistischer Vorfälle

Nach Angaben des Jahresberichts der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte aus dem Jahr 2010 stieg die Zahl rassistischer Übergriffe in Irland im Zeitraum von 2000 bis 2008 um 24 Prozent. Nach Dänemark und der Slowakei entsprach das dem drittgrößten Anstieg innerhalb der EU.

Denise Charlton, Geschäftsführerin des "Immigrant Council of Ireland", bemerkt in diesem Zusammenhang, dass die rassistischen Vorfälle aufgrund der Rezession zugenommen haben. Da das System zur Erfassung rassistischer Vorfälle mit Fehlern behaftet sei, ließen sich jedoch nur schwer zuverlässige Aussagen über Islamophobie machen.

Logo des National Consultative Committee on Racism and Interculturalism
Das "National Consultative Committee on Racism and Interculturalism" hat zahlreiche Analysen zum Thema Islam und interkulturelle Gemeinschaften in Irland publiziert. Im Dezember 2008 wurde die Plattform jedoch aus finanziellen Gründen geschlossen.

​​Das "National Consultative Committee on Racism and Interculturalism", ein unabhängiges Expertengremium, hatte rassistische Vorfälle nach Typen dokumentiert. Es musste aber wegen Kürzungen von Regierungsgeldern aufgelöst werden. Ali Selim äußert hierüber sein Bedauern: "Wir haben mit einigen dieser Organisationen zusammengearbeitet. Wir haben Literatur vorgestellt, Seminare und Konferenzen organisiert und Diskussionen geleitet. Aber diese Organisationen gehören nun der Geschichte an."

Eine neue Koalitionsregierung, die im März nach über einem Jahrzehnt in der Opposition gewählt wurde, bemüht sich nun, die öffentlichen Finanzen Irlands in Ordnung zu bringen und wieder nach vorn zu schauen. Eine stille, jedoch bedeutende Änderung war die Umwandlung des ehemaligen "Amtes für Integration" in das neue "Amt zur Förderung der Integration von Migranten", das vom ehemaligen Ministerium für Gemeinschaft, Gleichheit und Gaeltacht-Angelegenheiten [Irisch für irischsprachiges Gebiet, Anm. d. Red.] ins neue Ministerium für Gerechtigkeit und Gleichheit umzieht.

Ungewisse Aussichten

Die vorherige staatliche Institution hatte einige Initiativen unternommen, um dem sich wandelnden Gesicht der irischen Gesellschaft Rechnung zu tragen. Sie stellte fest, dass islamische Gruppen "Offenheit und Engagement" zeigten, die im ganzen Land ersichtlich seien. Für das Jahr 2011 wurden ihr rund 5,7 Millionen Euro zugewiesen, doch könnte dieses Geld im Zuge der jüngsten institutionellen Neuordnung noch in andere Bereiche abfließen.

Irland verändert sich auf eine für Muslime vielschichtige Weise, ihre Zukunftsperspektiven bleiben jedoch ungewiss. Von entscheidender Bedeutung wird vor allem sein, wie sich die Führung durch die islamischen Autoritäten selbst entwickelt.

Dort stehen die Zeichen derzeit gut, glaubt Denise Charlton, Geschäftsführerin des "Immigrant Council of Ireland": "Die Leitung der muslimischen Gemeinde war bisher sehr stark. Wenn sich Katastrophen in anderen Ländern ereigneten, wie die Anschläge vom 7. Juli 2005 in London, haben sie mit konstruktiven Stellungnahmen stets eine klare öffentliche Position eingenommen", so Charlton.

Und Ali Selim fasst die gegenwärtige Unsicherheit so zusammen: "Der Stimmungswandel ist etwas, was sich in Irland nicht wirklich manifestiert hat. Man kann diesen allerdings in anderen Ländern feststellen. Ob es in Irland dazu kommt oder nicht, werden uns die kommenden Jahre zeigen."

Joseph Burke

© Qantara.de 2011

Übersetzung aus dem Englischen von Susanne Kappe

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de