Muezzinruf und Glockenläuten: In der Corona-Krise ertönt an vielen Orten erstmals der Gebetsruf

Seit Moscheen und Kirchen wegen der Corona-Pandemie geschlossen wurden, sind als Zeichen der Solidarität Glocken zu hören - und an vielen Orten auch erstmals Muezzinrufe. Von Judith Kubitscheck

«Allahu Akbar» - Gott ist am größten – so lautet der Beginn des islamischen Gebetsrufes. Seit wegen der Corona-Pandemie Kirchen und Moscheen geschlossen wurden, ist er an zahlreichen Orten Deutschlands zu hören. Die Duisburger Zentralmoschee der Türkisch-Islamischen Union (Ditib) war wohl bundesweit die erste, die im März den Gebetsruf hören ließ.

Ermuntert von den benachbarten Kirchen sei er nun täglich um 19 Uhr gemeinsam mit dem Läuten der Glocken als Zeichen der Solidarität zu hören, sagt Hülya Ceylan, Vorsitzende des Ditib-Landesverbandes in Nordrhein-Westfalen. Hannover, Dortmund und Wuppertal mit alleine 18 Moscheevereinen, München und zahlreiche andere Orte folgten dem Beispiel. Manche ließen den Muezzinruf speziell für den islamischen Fastenmonat Ramadan zu.

Mit den Anfragen für den islamischen Gebetsruf gehen Städte und Kommunen unterschiedlich um: Köln gewährt der Ditib-Zentralmoschee und anderen Moscheen den Gebetsruf. Bremerhaven und das hessische Haiger beispielsweise nicht. Dort kam es zu einer Facebook-Debatte zwischen der dortigen CDU und dem Ausländerbeirat kam.

Auch die Stadt Mannheim lehnte die Bitte von islamischen Gemeinden nach einem Gebetsruf vom Minarett der Yavuz-Sultan-Selim-Moschee ab. Es brauche zuerst eine öffentliche Diskussion zum Gebetsruf, erklärte der Oberbürgermeister Peter Kurz (SPD).

Dies sieht die evangelische Pfarrerin Ilka Sobottke, Vorsitzende der Christlich Islamischen Gesellschaft Mannheim e.V. und «Wort zum Sonntag»-Sprecherin anders: «Es gibt keine rechtliche Grundlage dafür, dass wir diesen Ruf nicht schon längst hören.» Muslime hätten das gleiche Recht, diesen Ruf erklingen zu lassen, wie Christen das Recht hätten, die Glocken zu läuten.

Rechtlich gesehen ist ein Muezzinruf per Lautsprecher prinzipiell erlaubt. Allerdings muss man im Einzelfall verschiedene Grundrechte und Interessen abwägen, erklärt der Erlanger Rechtsprofessor Mathias Rohe. Im Einzelfall müssten die Grundrechte wie Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit und auch negative Religionsfreiheit - also das Recht, nicht mit Religion konfrontiert zu werden – gegeneinander abgewägt werden, sagt der Experte für Islamisches Recht.

Wenn die Muezzins die Gläubigen zum Gebet aufrufen, zitieren sie unter anderem das islamische Glaubensbekenntnis, in dem es heißt: «Ich bezeuge, es gibt keine Gottheit außer Allah und Muhammad ist sein Gesandter.» Es geht also auch um die Frage, ob von der nichtmuslimischen Mehrheitsgesellschaft in einer pluralen Gesellschaft verlangt werden kann, eine solche Glaubensbekundung «auszuhalten» oder nicht.

In Deutschlands wird meist im Inneren der Moschee in Zimmerlautstärke zum Gebet gerufen. Nach einer erfolgreichen Klage im Jahr 1985 war die Fatih-Moschee im nordrhein-westfälischen Düren die erste in der Bundesrepublik, in der ein Muezzin dreimal täglich per Lautsprecher zum Gebet auffordern kann. Mittlerweile ist der lautsprecherverstärkte Gebetsruf an mindestens 30 Moscheen bundesweit eingeführt.

Immer wieder wird von muslimischer Seite betont, dass der Gebetsruf erschallt, um in der herausfordernden Zeit ein gesellschaftliches Zeichen der Solidarität zu setzen. Doch nicht überall scheint angekommen sein, dass es sich bei dem Gebetsruf oft verbunden mit gemeinsamen Glockengeläut um eine christlich-muslimische Solidaritätsaktion handeln soll - für manche Muslime scheint der laut vernehmbare Ruf eher ein Triumph für ihre Religion zu sein.

So finden sich beispielsweise unter einem Youtube-Video, das bereits mehr als 276.000 Aufrufe hat und den ersten Gebetsruf vom Minarett der Zentralmoschee in Duisburg-Marxloh festgehalten hat, mehr als 1.500 Kommentare - darunter zahlreiche Stimmen, die Gott für den Gebetsruf preisen. Ein Benutzer unter dem Pseudonym «Great Expectations» schreibt auf Türkisch, er hoffe, dass sich Deutschland zum Islam bekehrt. Dafür erhält er mehr als 150 Likes.

Friedemann Eißler von der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (Berlin) hofft auch auf eine breite gesellschaftliche Debatte. Solche Entscheidungen sollten vielleicht nicht im Windschatten der Krise getroffen werden, meint er. (epd)