Mevlüde Genç fast 30 Jahre nach Brandanschlag in Solingen gestorben

Köln. Mevlüde Genç, die bei dem rechtsextremistischen Brandanschlag in Solingen vor fast 30 Jahren fünf Mitglieder ihrer Familie verlor, ist tot. Wie die Stadt Solingen am Sonntag mitteilte, starb Genç im Alter von 79 Jahren. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU), Solingens Oberbürgermeister Tim Kurzbach (SPD) und weitere Politiker würdigten ihr Vermächtnis als Versöhnerin.



Die damals 50-Jährige Mevlüde Genç verlor bei einem von Rechtsradikalen verübten Brandanschlag am 29. Mai 1993 auf ihr Haus in Solingen zwei Töchter, zwei Enkelinnen und eine Nichte. Vier Täter wurden 1995 zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.



"Mit Mevlüde Genç verliert unser Land ein großes Vorbild der Versöhnung", erklärte Wüst in Düsseldorf. Aus "purem Hass" sei ihr das wichtigste im Leben genommen worden. Dennoch habe Mevlüde Genç den Frieden und die Versöhnung immer an erste Stelle gesetzt. "Sie hat den Hass, die Gewalt und die Missgunst, die ihr entgegenschlugen, als Großherzigkeit und Toleranz zurückgegeben", erklärte Wüst.



Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) äußerte sich "tieftraurig" über den Tod von Mevlüde Genç. "Sie wird für immer mein großes Vorbild bleiben", schrieb Özdemir im Kurzbotschaftendienst Twitter. Der Präsident des Landtags von Nordrhein-Westfalen, André Kuper (CDU), hob hervor, sie sei "Hass und Gewalt mit Vergebung und Liebe entgegengetreten". Er kündigte für kommenden Mittwoch eine Schweigeminute im Parlament an.



Auch Solingens Oberbürgermeister Tim Kurzbach (SPD) zeigte sich bestürzt. Mevlüde Genç habe nach dem rechtsextremen Anschlag durch ihre versöhnende Haltung "die Zornigen besänftigt und die Traurigen getröstet und Frieden in die Stadt gebracht". "Solingen wurde nicht zuletzt durch ihr Beispiel Integrationsstadt, lange bevor Deutschland sich als Integrationsland verstehen wollte", erklärte Kurzbach, der Genç noch vor wenigen Tagen zu einem Gespräch über den 30. Jahrestag des Brandanschlages im nächsten Jahr getroffen hatte.



Es sei ihr wichtig gewesen, dass das Gedächtnis an ihre ermordeten Kinder Teil der Erinnerungskultur Solingens bleibe. Diese Vermächtnis werde die Stadt wahren, betonte Kurzbach.



Der türkische Moscheeverband Ditib sprach im Zusammenhang mit dem Tod von Genç unter anderem von einer "kummervollen Mahnung für gesellschaftlichen Zusammenhalt" und einem "unerschütterlichen Symbol der Versöhnung".



Nach Informationen des deutsch-türkischen Magazins "Merhaba" in Berlin soll Genç nach der Trauerfeier am Dienstag in Solingen in ihre türkische Heimatstadt Amasya überführt und dort beigesetzt werden.



Für ihre Bemühungen um Versöhnung nach dem Anschlag wurde ihr 1996 das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen. Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen stiftete außerdem 2018 die Mevlüde-Genç-Medaille. Diese wird an Einzelpersönlichkeiten oder Gruppen verliehen, die sich für Verständigung und Toleranz einsetzen. Die Auszeichnung wird jährlich rund um den Jahrestag des Brandanschlags verliehen. (AFP)