Menschenrechtler: Äthiopien wird wegen Ukraine-Krieg vergessen

Berlin. Dan Yirga Haile setzt sich seit fast zwei Jahrzehnten in Äthiopien für Menschenrechte ein. Aktuell ist er Direktor des unabhängigen Äthiopischen Menschenrechtsrates, der nun von Amnesty International ausgezeichnet wird. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) erzählt er von einer sich verschlechternden Lage in seinem Heimatland. Von Mey Dudin.



epd: Erst kürzlich gab es wieder Massenfestnahmen in Äthiopien. Auch Journalisten waren betroffen. Wie steht es derzeit um die Meinungsfreiheit in Ihrem Land?



Dan Yirga Haile: Um die Meinungsfreiheit steht es nicht gut. Im Moment werden viele Kritiker der Regierung und politische Meinungsführer festgenommen. Auch Journalisten sind betroffen, und zwar nicht, weil sie sich strafbar gemacht haben, sondern einfach nur, weil sie ihrer Arbeit nachgehen. Die Pressefreiheit ist bedroht.



Vor allem in den vergangenen vier Wochen ist es schlimmer geworden, die Zahl inhaftierter Journalisten nimmt zu. Ein Reporter wurde sogar aus seinem Haus entführt und war tagelang verschwunden. Dabei wird von staatlicher Seite immer behauptet, dass solche Festnahmen zur Rettung der Nation geschehen. In unserer Verfassung ist die Meinungsfreiheit verankert, aber genau das Gegenteil wird im Moment praktiziert.



epd: Im Tigray-Konflikt prangert Ihre Organisation an, dass Gräueltaten sowohl vonseiten der Sicherheitskräfte als auch von der Volksbefreiungsfront von Tigray verübt wurden. Haben Sie denn Zugang zu der Region und den Menschen?



Dan Yirga Haile: Wir wollen noch weiter ermitteln, denn trotz Waffenruhe werden noch immer unschuldige Menschen getötet, Frauen, Kinder und Ältere aus ihren Häusern vertrieben.



Weiterhin passieren Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Allerdings kommen wir nicht in die betreffenden Gebiete: Die Region ist von Soldaten abgeriegelt, die Straßen sind gesperrt. Auch vom Internet sind die Gebiete abgeschnitten, die Telefonleitungen sind tot. Wir haben bei der Regierung um Zugang angefragt, aber der wurde uns verweigert. Wir hoffen, dass es bald möglich sein wird.



epd: Wie geht Ihre Organisation mit den aktuellen Repressionen gegenüber Kritikern um?



Dan Yirga Haile: Wir selbst sind natürlich auch bedroht. Ich bin ein gesetzestreuer Mensch, wurde aber trotzdem schon oft festgenommen und bedroht. Aber es ist mein Job, Menschenrechte zu verteidigen. Das werde ich weiter tun und sehen, was passiert. Es wäre gut, wenn Deutschland und Europa die Menschenrechtslage in Äthiopien im Blick behalten. Seit der Ukraine-Krieg die gesamte Aufmerksamkeit auf sich zieht, geraten wir in Vergessenheit. Unsere Regierung nutzt das aus, wie die jüngsten Massenverhaftungen zeigen. Deshalb rufe ich die deutsche Regierung auf, auch wieder genauer auf die Menschenrechtslage in Äthiopien und anderen afrikanischen Ländern zu schauen. (epd)