Menschenrechte in Saudi-Arabien: Wo ist Prinzessin Basmah?

Über Jahre hatte die saudische Prinzessin Reformen im Königreich eingefordert. Nun ist sie aus der Öffentlichkeit verschwunden. Ihr nahestehende Personen erklären, sie wüssten, warum man die Prinzessin nicht mehr sehe. Von Tom Allinson

Prinzessin Basmah bint Saud bin Abdulaziz Al Saud, Angehörige der saudischen Königsfamilie und prominente Menschenrechtsaktivistin, ist verschwunden. Beobachter vermuten, sie stehe mit einer ihrer Töchter ohne offizielle Anklage in Riad unter Hausarrest. Im Gespräch mit der Deutschen Welle erklärte eine Person aus dem Umfeld der Prinzessin, die ihren Namen nicht genannt wissen will, die Familie stehe zwar in Kontakt mit der Verschwundenen, aber sie könne nicht offen sprechen, weil ihre Gespräche überwacht würden.

Auf dem Weg über internationale Medien hat sich Prinzessin Basmah lange für Verfassungsreformen in Saudi-Arabien und der gesamten Region eingesetzt. Auch griff sie in der Öffentlichkeit immer wieder soziale Fragen auf. Ihre mutmaßliche Festsetzung kommt zu einer Zeit, als ähnliche Meinungsäußerungen den Zorn des De-facto-Machthabers Kronprinz Mohammed bin Salman weckten.

Der Kontaktperson der Deutschen Welle (DW) zufolge wurde Prinzessin Basmah im März dieses Jahres festgesetzt. Zu dieser Zeit hatte sie mit ihrer Tochter zu einer medizinischen Behandlung in die Schweiz reisen sollen. Die Behörden hätten sie jedoch verdächtigt, fliehen zu wollen, und sie darum festgenommen. Auf Anfragen der DW antworteten die saudischen Behörden bislang nicht.

Der DW vorliegende Dokumente zeigen, dass Prinzessin Basmah am 18. Dezember des vergangenen Jahres die Genehmigung erhalten hatte, mit ihrer Tochter zu einer dringenden ärztlichen Behandlung in die Schweiz zu fliegen. Der US-amerikanische Anwalt Leonard Bennett – er hatte die Reise in die Wege geleitet - erklärte der DW, das Flugzeug der Prinzessin habe dann aber nicht abheben dürfen.

"Sie ist aus der Öffentlichkeit verschwunden. Zunächst wusste niemand, wo sie ist", erklärte Bennett rund zwei Monate später. "Wir befürchteten das Schlimmste." Doch nach weiteren Kontaktversuchen sei sie wieder aufgetaucht. Doch es habe geklungen, als spräche man mit einer Geisel.

Zwar belegt das Dokument, dass der Flug nach Genf gehen sollte. Doch weil die Route über die Türkei, ein von Riad als feindlich angesehenes Land führen sollte, seien die Behörden argwöhnisch geworden.

"Die Behörden haben dann eine Untersuchung durchgeführt, um festzustellen, ob [die Fluchtvorwürfe] wahr sind. Inzwischen ist die Untersuchung beendet, doch bislang gab es keine Antwort", so die der Prinzessin nahe stehende Person im Gespräch mit der DW. "Wir wissen immer noch nicht, warum sie inhaftiert ist."

Wer die Verhaftung angeordnet habe, wisse sie nicht, so die Kontaktperson. Auch sei sie sicher, dass die Verhaftung nicht politisch motiviert sei. Zudem nehme sie an, dass sie ohne Wissen der regierenden Königsfamilie angeordnet worden sei.

Eine mit der Prinzessin befreundete und zugleich geschäftlich verbundene Person - auch sie will namentlich nicht genannt werden - bestätigte ebenfalls, dass Prinzessin Basmah seit März vermisst werde. "Einige Personen behaupten zwar, sie nähmen nicht an, dass der Kronprinz den Aufenthaltsort von Prinzessin Basmah kenne. Ich aber nehme an, dass er darüber sehr wohl informiert ist. Darum wollen wir wissen, wie er zu der Sache steht und warum sie festgehalten wird."

Prinzessin Basmah hatte im Jahr 2006 für saudi-arabische Medien zu schreiben begonnen. Bekannt wurde sie durch ihre Reformforderungen. Diese entsprachen nicht immer den Vorstellungen der saudischen Machthaber.

Nach ihrer Scheidung zog sie 2010/11 nach London, wo sie zu einer prominenten Medienfigur wurde. Sie berichtete über Korruption, humanitäre Fragen und die soziale Spaltung nicht nur in Saudi-Arabien, sondern der gesamten Region. Ebenso plädierte sie für eine Verfassungsreform im Königreich und forderte, die Macht der Religionspolizei einzuschränken und die Rechte der Frauen gesetzlich zu verankern.

So äußerte Basmah bint Saud im Jahr 2012 in der BBC ihr Bedauern darüber, dass Saudi-Arabien die von ihrem verstorbenen Vater, König Saud, präsentierten Pläne für eine konstitutionelle Monarchie nicht umgesetzt habe. Eine solche Maßnahme würde die Position und die Befugnisse des Königs von denen des Premierministers trennen.

In einem Interview mit der Zeitung "The Independent" im selben Jahr berichtete sie, die während des Arabischen Frühlings in der gesamten Region laut gewordenen Demokratieforderungen hätten ihre Redakteure in Riad so nervös gemacht, dass sie selbst ihre, Basmahs, Artikel gekürzt hätten. Zugleich habe sie "sehr starke Hinweise" erhalten, dass ihre Kritik "nicht mit Zustimmung" aufgenommen worden sei.

Ende 2015 kehrte die Prinzessin nach Saudi-Arabien zurück. 2016 schloss sie einige ihrer Londoner Unternehmen und übertrug die übrigen 2018 einer ihrer Töchter. Zwar erklärt Prinzessin Basmah, sie sei wegen ihrer Auftritte nicht unter Druck gesetzt worden, doch hatte sie seit Januar 2018 keine nennenswerten Medienauftritte mehr.

Die Hintergründe von Basmahs Verbleib in Saudi-Arabien sind unklar. Zunächst wurde sie verdächtigt, aus dem Land "fliehen" zu wollen. Allerdings könnte auch ein Streit in der Familie sie in ihre derzeitige Situation gebracht haben. Letztes Jahr berichteten lokale saudische Medien, Basmahs Söhne seien in einen Angriff auf einen Verkehrspolizisten verwickelt gewesen und bis zu einer Untersuchung ohne Anklageerhebung festgehalten worden. Möglicherweise habe diese Angelegenheit die Prinzessin im Land gehalten. Ein Geschäftspartner bestätigte, dass sich die Prinzessin um die Freilassung ihrer Söhne bemüht habe. Beide befänden sich nun wieder auf freiem Fuß.

Madawi al-Rasheed, Expertin für saudische Politik an der London School of Economics, sagte der DW, sie halte es für möglich, dass die Prinzessin in einen Streit um die Erbschaft oder das Sorgerecht für ihre Kinder verwickelt war. Das habe sie womöglich daran gehindert, das Land zusammen mit ihrer Tochter zu verlassen.

Weiter erklärt Al-Rasheed, die Ausweispapiere von Mitgliedern der Königsfamilie würden grundsätzlich anders behandelt als die gewöhnlicher Bürger. "In der Vergangenheit waren sie immer auf eine Ausreisegenehmigung angewiesen. Die Königsfamilie hat mit Blick auf die Prinzessinnen eine ganze Reihe entsprechender Maßnahmen ersonnen, weil sie sich um die Ehre ihrer Prinzessinnen sorgt." Es sei ausgesprochen unwahrscheinlich, dass ein Mitglied der Königsfamilie ohne das Wissen der Behörden und der saudischen Herrscher festgehalten würde.

"Sie haben sie möglicherweise unter Hausarrest gestellt oder inhaftiert, um zu verhindern, dass sie aus dem Haus geht und sich in der Öffentlichkeit äußert", sagt al-Rasheed. "Aber dass es unterhalb des Kronprinzen jemanden gibt, der die Prinzessin festhält, um ihm zu gefallen, bezweifle ich. Das könnte man mit anderen Leuten machen, aber nicht mit einer Prinzessin."

Als jüngste Tochter der 115 Kinder des ehemaligen Königs Saud gehört Prinzessin Basmah einem Familienzweig an, der eine Zeitlang als mögliche Alternative zum derzeitigen Machtzweig von König Salman und seinem Sohn angesehen wurde. Mit sämtlichen Verzweigungen umfasst die Königsfamilie rund 14.000 Mitglieder. Diese haben sich wiederholt Kämpfe um Macht und Einfluss geliefert. 

Bevor König Salman 2015 den Thron bestieg, habe sein Vorgänger König Abdullah den Familienzweig gefördert, zu dem auch Prinzessin Basmah gehöre. Auf diese Weise habe er das Erbe ihres Vaters Saud wiederbelebt, sagt al-Rasheed: "Während der Regierungszeit König Abdullahs gab es einen Moment, in dem es allen Prinzessinnen erlaubt war, sich öffentlich zu äußern. Letztlich war das aber nur eine PR-Kampagne." Und weiter: "Insbesondere Prinzessin Lolowah bint Faisal Al Saud hat diese Rolle gespielt. Inzwischen ist es still um sie geworden. Ich wäre nicht erstaunt, wenn Salman und sein Sohn nun auch die Frauen zum Schweigen bringen wollten, die nicht autorisiert sind, sich öffentlich zu äußern."

Leonard Bennett hingegen vermutet, andere Verwandte der Prinzessin hätten sie an der Reise gehindert, da man sie als Bedrohung wahrnehme. "Die derzeitige Regierung scheint der Ansicht zu sein, Basmah sollte in ihren Reisen eingeschränkt sein - als ob sie im Ausland mehr sagen würde als bislang", so Bennett. "Ihre bisherigen Aussagen zeichnen sie als Verfechterin von Frauenrechtsfragen aus. Doch sie ist nicht radikaler als andere. Ihre Ausdrucksweise war der Regierung gegenüber noch nie kritisch."

Zwar habe die Prinzessin Zugang zu Medikamenten, sagt die Kontaktperson, ihre Familie sei jedoch sehr besorgt über ihren Gesundheitszustand. (DW)