Meldestelle für Religions-Mobbing an Berlins Schulen umstritten

Ein Streit über religiös motiviertes Mobbing an Berliner Schulen wogt seit Jahresbeginn hin und her. Es geht um eine geplante Meldestelle für die Vergehen meist muslimischer Jugendlicher - und eine grundsätzliche Frage.



Berlin. Ein konfliktträchtiges Erbe aus der früheren Berliner rot-rot-grünen Koalition ist das Neutralitätsgesetz des Bundeslandes. Vor allem SPD und Grüne vertreten konträre Positionen mit Blick auf die bundesweit strengste Regelung dieser Art, die seit 2005 unter anderem Lehrkräften religiöse Kleidung oder Symbole im Dienst verbietet. Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über das Gesetz wird mit Spannung erwartet. Die zugrundeliegende Frage, wie mit religiös motiviertem Auftreten im öffentlichen Raum umzugehen ist, stellt sich derweil auch in anderer Form.



Es geht um das Projekt einer "Anlauf- und Dokumentationsstelle für konfrontative Religionsbekundung" an Schulen, die zunächst für den Multi-Kulti-Bezirk Neukölln geplant ist. Sie soll unter anderem Mobbing durch muslimische Jugendliche erfassen, die ihre Mitschülerinnen zum Tragen eines Kopftuchs zwingen wollen, und Lehrkräfte im Umgang damit beraten. Im Gespräch ist auch, eine solche Stelle zu einem bundesweiten "Pilotprojekt" zu machen.



Hinter dem Vorhaben stehen Neuköllns Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) und Sozialstadtrat Falko Liecke (CDU), einer der stellvertretenden CDU-Landesvorsitzenden, sowie die Integrationsbeauftragte des Bezirks, Güner Balci. Auch die AfD hat ihre Unterstützung bekundet. Als Träger der Anlaufstelle steht der "Verein für Demokratie und Vielfalt in Schule und beruflicher Bildung" (DeVi) bereit, der Präventionsprojekte gegen Rechtsextremismus umsetzt.



Seit 2017 macht der Verein auch "unterstützende Angebote zum pädagogischen Umgang mit religiösem Mobbing, konfrontativer Religionsbekundung und islamistischer Ideologisierung". Seither gab es Bestrebungen, dafür auch eine spezifischen Anlauf- und Dokumentationsstelle einzurichten. Doch erst "nach anfänglichen Bedenken", wie es das Bezirksamt Neukölln formulierte, stimmte das Bundesfamilienministerium im vergangenen Herbst einer Förderung in Höhe von rund 50.000 Euro zu.



Die Summe reichte für eine Bestandsaufnahme der Problemlage, die der DeVi-Verein Ende vergangenem Dezember veröffentlichte - und die Debatte über das Projekt erst richtig anheizte. Die gut 50-seitige Abhandlung konstatierte nach Befragungen von Lehrkräften religiös begründetes Mobbing an neun von zehn erfassten Neuköllner Schulen, die meist durch muslimische Kinder und Jugendliche vorkam. Zugleich monierte sie mit Blick auf das Problem einen "blinden Fleck" in der öffentlichen Wahrnehmung.



Seither wächst die Kritik an dem Vorhaben. So meldete sich ein informelles Bündnis von rund 130 Fachleuten aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft zu Wort. Unter ihnen sind die früheren Berliner Staatssekretäre für Bildung und Inneres, Mark Rackles und Aleksander Dzembritzki (beide SPD), der Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik sowie die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Auch der Direktor der Instituts für Katholische Theologie an der Humboldt-Universität, Georg Essen, und der Beauftragte für interreligiösen Dialog in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Andreas Goetze, sind unter den Unterzeichnern.



In einer gemeinsamen Stellungnahme warfen sie der Bestandsaufnahme eine unwissenschaftliche Methodik vor. So seien die meisten dort vorgestellten Konfliktfälle nicht zweifelsfrei religiös, sondern oft ethnisch begründet. Aufgrund solcher "gravierender konzeptioneller Schwächen" stigmatisiere das Projekt die Muslime und werde "eher zu einer Verschärfung von Konflikten führen als zum Schulfrieden beitragen". Ähnlich äußerten sich Vertreterinnen und Vertreter der muslimischen Community.



Das Problem an sich bestreiten die Kritiker nicht. Sie räumen Konflikte auch an Schulen ein, "die mit religiösem Konformitätsdruck, widerstreitenden Werthaltungen, religiös aufgeladenem Mobbing oder gar ideologischer Radikalisierung zusammenhängen". Dafür gebe es aber bereits ausbaufähige Beratungseinrichtungen, eine "Parallelstruktur" sei nicht notwendig.



Den Leiter des DeVi-Vereins, Michael Hammerbacher, überzeugt diese Argumentation nicht. Viele Lehrkräfte hätten Angst, "in den Ruf zu kommen, 'islamfeindlich' oder 'rechts' zu sein, nur weil sie konkrete Probleme benennen, die sie vor Ort in ihren Schulen haben", sagte Hammerbacher der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). "Das könnte auch ein Grund sein, warum sich Kollegen und Kolleginnen zum Teil nicht an manche bestehenden Präventionsangebote wenden. Sie erwarten dort wenig Unterstützung."



Diese Einschätzung teilt die Leiterin des Forschungszentrums Globaler Islam an der Frankfurter Goethe-Universität, Susanne Schröter. Sie evaluierte die DeVi-Bestandsaufnahme und bescheinigte ihr "für den kurzen zur Verfügung stehenden Zeitraum und das bescheidene Personaltableau" insgesamt "eine gute und aussagekräftige Erhebung". Schröter empfiehlt, "die Gespräche mit einer größeren Anzahl von Personen fortzuführen, um die empirische Datenbasis zu erweitern."



Inwieweit die neue Berliner Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD) das Projekt weiter fördern kann und will, ist offen. In einem Offenen Brief an ihre Amtsvorgängerin Sandra Scheeres (SPD) hatte sie sich als Vorsitzende des Interessenverbands Berliner Schulleitungen mit anderen Unterstützern im November 2020 auch für die religionsbezogenen Angebote von DeVi stark gemacht. (KNA)