"Meilenstein im Streben nach Wahrheit" - UNO zum Urteil in Koblenzer Prozess um Staatsfolter in Syrien

Im weltweit ersten Strafprozess zu Staatsfolter in Syrien hat das Oberlandesgericht (OLG) Koblenz den Hauptangeklagten am Donnerstag (13.1.2022) zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Der Syrer Anwar R. wurde laut Mitteilung des Gerichts für schuldig befunden, Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben. Das Gericht sieht es als erwiesen, dass er im Rahmen eines "ausgedehnten und systematischen Angriffs gegen die syrische Zivilbevölkerung" als Mittäter 27 Menschen ermordet sowie 4.000 Menschen in schwerwiegender Weise gefoltert hat.

Nach Feststellung des 1. Strafsenats hat das syrische Regime Proteste unter Einsatz von Waffengewalt um jeden Preis niederschlagen lassen. Die Gewalt sei im Rahmen einer umfassenden Strategie ausgeübt worden, um die syrische Bevölkerung gefügig zu machen. In der Abteilung 251 des Al-Khatib-Gefängnisses in Damaskus seien Menschen "ohne rechtsstaatliches Verfahren eingesperrt, misshandelt und gefoltert worden". Anwar R. war demnach dort als Leiter der Vernehmungsabteilung auch im Tatzeitraum von April 2011 bis September 2012 verantwortlich. Auch wenn er die Taten nicht persönlich ausgeführt habe, seien ihm diese aufgrund seiner Befehlsgewalt zuzurechnen.

Anwar R. floh Ende 2012 ins Ausland und beantragte schließlich in Deutschland Asyl. Durch Aussagen über seine frühere Tätigkeit bei deutschen Behörden machte er auf sich aufmerksam, was letztlich zur Anklage führte. Der Mitangeklagte Eyad A. wurde bereits im Februar 2021 vom OLG wegen Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt. Über seine Revision ist noch nicht entschieden.

Menschenrechtler begrüßten das Urteil als wichtiges Signal für die Überlebenden und als Schritt im Kampf gegen weltweite Straflosigkeit. Das Europäische Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte (ECCHR), das Nebenkläger im Verfahren unterstützte, sprach von einem wichtigen ersten Schritt zur Aufarbeitung der Verbrechen in Syrien. Andere europäische Strafverfolger sollten auf dieser Basis weitere Verfahren betreiben, sagte Generalsekretär Wolfgang Kaleck. Das Urteil zeige, was das Weltrechtsprinzip leisten könne. Es sei zwar nur eine Notlösung, aber oft die "letzte Hoffnung für Betroffene schwerster Verbrechen". Die Nebenklägerin Ruham Hawash teilte mit: "Gerechtigkeit muss und darf kein Traum für uns bleiben."

Human Rights Watch wertete die Entscheidung als Hoffnungsschimmer. "Der Prozess in Koblenz ist eine Botschaft an die syrischen Behörden, dass der lange Arm der Justiz sie überall erreicht." Auch Amnesty International Deutschland nannte das Urteil ein historisches Signal im weltweiten Kampf gegen die Straflosigkeit.

Die Heinrich-Böll-Stiftung würdigte die Zeugen für ihren Mut, die erlebten Verbrechen vor Gericht zu beschreiben. Das sei nicht nur belastend, sondern berge auch ein Risiko für deren noch in Syrien lebende Verwandten.

In dem Strafprozess sagten seit dem Start im April 2020 mehr als 80 Zeugen aus. Grundlage für den Prozess ist das Weltrechtsprinzip. Seit 2002 können bestimmte Verbrechen - Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen - in Deutschland geahndet werden, auch wenn weder die Tat hierzulande geschehen ist noch die Angeklagten oder die Opfer aus Deutschland kommen. (KNA)