Libyen-konflikt: Keine Anzeichen für Ende der Gefechte nach Haftar-Niederlage in Tripolis

Die Kräfteverhältnisse in Libyen verschieben sich. Seit die Türkei in dem ölreichen Land mitmischt, sind General Haftars Truppen teils auf dem Rückzug. Seinen Vorschlag einer Waffenruhe erteilt die Regierung in Tripolis eine Absage. Die Küstenstadt Sirte wird erneut zum Kampfschauplatz. Von Johannes Schmitt-Tegge und Claudia Thaler.

In Libyen gibt es auch nach dem Teilrückzug der Truppen von General Chalifa Haftar und seiner Zusage für eine Waffenruhe keine Anzeichen für ein rasches Ende der Gefechte. Dem Vorschlag Ägyptens, nach dem für das Bürgerkriegsland ab Montagmorgen eine Waffenruhe gelten sollte, erteilte Libyens Regierung indirekt eine Absage. Die mit ihr verbündeten Milizen rückten weiter in Richtung der strategisch wichtigen Küstenstadt Sirte vor, die Haftars Truppen bei ihrer Offensive im Januar eingenommen hatten.



14 Monate nach Beginn ihres Angriffs auf die Hauptstadt Tripolis hat Haftars selbst ernannte „Libysche Nationalarmee“ (LNA) wichtige Gebiete verloren. Truppen der international anerkannten Regierung von Ministerpräsident Fajis al-Sarradsch konnten diese mit Hilfe der Türkei zurückdrängen, die mit Kampfdrohnen, Luftabwehrsystemen und Soldaten militärisch immer stärker in Libyen eingreift. Haftar bekommt dagegen Unterstützung von Russland, Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten.

Al-Sarradsch hatte die vorgeschlagene Feuerpause am Sonntagabend bereits indirekt abgelehnt. Dem Kommandeur verbündeter Milizen sagte zu ihrem Angriff auf Sirte: „Wir werden den von Opfergaben gepflasterten Weg weitergehen.“ Die Kämpfer befanden sich am Montag nach Augenzeugenberichten etwa 30 Kilometer westlich von Sirte, das am Mittelmeer auf halber Strecke zwischen Tripolis und Bengasi liegt.

Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi hatte die Waffenruhe und die politische Initiative zur Lösung des Konflikts am Samstag nach einem Treffen mit Haftar angekündigt. Dabei war aber kein Vertreter der Sarradsch-Regierung anwesend.

Unter anderem zeigten sich die Vereinten Nationen, die USA und Deutschland zuversichtlich, dass die

Gespräche über die Zukunft Libyens fortgesetzt werden könnten. Alle Versuche, in dem Konflikt zu vermitteln, blieben bisher erfolglos. Russland, das auf der Seite von Haftar steht, begrüßte den Vorschlag Ägyptens. Es sei eine «solide Grundlage für längst überfällige Verhandlungen», teilte das Außenministerium in Moskau mit.

Zuletzt hatte Russlands Führung noch einmal verstärkt den Kontakt mit den Konfliktparteien gesucht. Al-Sarradsch soll Berichten zufolge am Wochenende nach Moskau gereist sein - ein Treffen mit Kremlchef Wladimir Putin ist aber nach Angaben seines Sprechers nicht geplant.

Dass Russland in Libyen so aktiv ist, kommt nicht unerwartet: Moskau will seinen Einfluss in der Region ausdehnen und versucht das auch mit Diplomatie und Militärhilfe. Gegen russische Interessen kommen andere Staaten im Nahen Osten inzwischen kaum noch an. So will Putin mit seinem Einfluss auf Haftar auch Druck auf den Westen aufbauen, der in Libyen nur eine Nebenrolle spielt. Vermutet wird auch, dass Russland versprochene Energie-, Militär- und Infrastrukturverträge in Milliardenhöhe zurückgewinnen will, die Moskau beim Sturz von Langzeitherrscher Muammar al-Gaddafi 2011 entgangen sind.

 

Ägypten hat als direkter Nachbar ebenfalls eigene Interessen in Libyen. Präsident Al-Sisi will den Einfluss islamistischer Gruppen zurückdrängen, die in Libyen die Sarradsch-Regierung unterstützen. Außerdem ist Kairo um die Sicherheit an der etwa 1200 Kilometer langen gemeinsamen Grenze besorgt. In der kargen Wüstengegend kam es mehrfach zu terroristischen Angriffen.

 

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Die Türkei will wiederum verhindern, dass Ägypten und die Emirate in Libyen an Einfluss gewinnen. Ankara empfindet beide Staaten als regionale Gegner. Der Türkei geht es aber auch um Interessen im Energiesektor: Ihre Unterstützung der Regierung in Tripolis ist eng verknüpft mit der Hoffnung auf Energiereserven im Mittelmeer.

 

Bei Haftars Unterstützern sei die Einsicht gereift, dass der 76 Jahre alte General kein starker politischer oder militärischer Anführer ist, zitierte die Nachrichtenseite Mada Masr einen ägyptischen Regierungsvertreter. «Aber Haftar wird nicht vor Sarradsch zur Tür gebeten. Haftar und Sarradsch werden gleichzeitig aussteigen müssen.»

 

Al-Sarradsch hatte am Donnerstag erklärt, dass ganz Tripolis wieder unter Kontrolle der Regierung sei. Der Internationalen Organisation für Migration (IOM) zufolge wurden in der Gegend innerhalb von 24 Stunden mehr als 16 000 Menschen durch die Kämpfe vertrieben. Die Verbündeten der Sarradsch-Regierung setzten ihre Offensive auf Sirte am Montag mit türkischer Unterstützung fort. In der Stadt wurde eine siebenköpfige Familie bei einem Angriff getötet, darunter Frauen und Kinder, sagte Bürgermeister Muchtar Al-Madani der Deutschen Presse-Agentur. «Niemand ist übrig», sagt Al-Madani. (dpa)