Länder am Abgrund: Corona trifft Libanon und Irak besonders schwer

Der Libanon erlebt eine der schlimmsten Wirtschafts- und Finanzkrisen seiner Geschichte. Die Corona-Pandemie verschlimmert die Lage noch weiter. Und auch im Irak ist der Staat der Lage kaum gewachsen. Von Jan Kuhlmann und Weedah Hamzah

Dr. Mahmud Hassun hat kaum Zeit, als er kürzlich über die Lage in der Beiruter Rafik-al-Hariri-Klinik berichtet. Nach nur wenigen Minuten muss der Leiter der dortigen Intensivstation das Telefongespräch abbrechen. Ein Alarm scheucht ihn auf - der nächste Corona-Patient wartet auf den Mediziner.

Wie fast alle Staaten der Welt leidet auch der Libanon unter Corona. Zwar hat das kleine Land am Mittelmeer mit etwas mehr als 600 Fällen bislang vergleichsweise wenig Infektionen gemeldet. Doch dürfte die Dunkelziffer unter den etwa sechs Millionen Einwohnern deutlich höher liegen. Und weil der Libanon auch schon vor der Pandemie in einer der schwersten Finanz- und Wirtschaftskrisen seiner Geschichte steckte, wird er nun von der Infektionswelle besonders hart getroffen.

Die Gefahr eines Staatsbankrotts wächst. Und auch das ohnehin schwach ausgebaute Gesundheitssystem steht vor einem Kollaps. Ähnlich sieht die Lage im Irak aus, der neben dem Libanon wie kaum ein anderes arabisches Land mit den Folgen des Virus zu kämpfen hat.

Die jüngste politische Krise im Libanon begann im vergangenen Oktober, als erstmals erboste Demonstranten gegen die Führung des Landes auf die Straße gingen. Immer wieder kam es danach zu Massenprotesten. Sie wenden sich vor allem gegen die weit verbreitete Korruption, die den Libanon seit langem fest im Griff hat.

Die Infrastruktur ist dagegen in vielen Bereichen mangelhaft. Wie etwa die Stromversorgung, für die die Libanesen doppelt bezahlen müssen. Einmal an das Elektrizitätswerk - und dann für die Generatoren, die einspringen, wenn täglich der Strom ausfällt.

Gleichzeitig sind die Staatsschulden auf einen 90 Milliarden Dollar hohen Berg angewachsen - das sind etwa 170 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, eine der höchsten Raten weltweit. Das ist nicht zuletzt die Folge einer Finanzpolitik mit Staatsanleihen zu äußerst attraktiven Zinsen, in der Kritiker ein «Schneeballsystem» sehen. Wegen einer engen Verflechtung von Politik und Banken werfen sie der Elite vor, das Land geplündert zu haben.

Im März musste die Regierung die Notbremse ziehen und erstmals in der Geschichte des Landes erklären, dass sie ihre Kredite nicht bedienen kann. Jetzt verhandelt sie mit den Gläubigern über eine Umschuldung. Diese wird für den Libanon sehr schmerzhaft sein.

Doch die Folgen spüren die Libanesen bereits. Das eigentlich fest an den US-Dollar gebundene Libanesische Pfund hat auf dem Schwarzmarkt fast die Hälfte seines Wertes verloren. Weil das Land stark vom Import abhängig ist, sind die Preise stark gestiegen. In Supermärkten sind manche Regale leer. Der Regierung zufolge lebte schon vor der Pandemie fast die Hälfte der Bevölkerung unter der Armutsgrenze.

Und jetzt auch noch das Coronavirus. Wegen stark geschrumpfter Devisenreserven fehlt dem Land das Geld, um die dringend benötigte Schutzkleidung in ausreichendem Maße im Ausland zu kaufen. Der Mediziner Hassun berichtet, in seiner Klinik würden Masken und Kittel selbst hergestellt.

«Wir bekämpfen das Coronavirus inmitten einer tiefen Wirtschaftskrise und eines Mangels an medizinischer Ausstattung», klagt der Arzt. Viele Kliniken sind seit Monaten nicht von der Regierung bezahlt worden, weshalb ihnen der Bankrott droht.

Ähnlich schlecht sieht die Lage im Irak aus, wo die Zahl der Patienten ebenfalls weiter steigt. Die bisherige Bilanz: fast 1.400 Infizierte und 76 Tote (Stand: 15.04.2020).

Doch das Land hat nicht einmal eine handlungsfähige Regierung, weil sich die großen politische Blöcke seit Monaten nicht auf einen neuen Ministerpräsidenten einigen können. Die USA und der Iran, miteinander tief verfeindet, ringen im Hintergrund um Einfluss und drohen sich im Irak mit gegenseitigen Angriffen. Dabei leidet das Land ohnehin noch immer unter den Folgen des langen Kampfes gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS).

Wegen der auch im Irak weit verbreiteten Korruption ist auch in diesem Krisenland das Gesundheitssystem nur schwach ausgebaut. Hinzu kommt der niedrige Preis des Öls, von dem die Regierung abhängt, weil sich ihr Budget zum größten Teil aus dessen Export speist. Beide Länder haben Ausgangssperren erlassen. Ihnen ist noch etwas

gemein: Die Macht ist unter den Konfessionen aufgeteilt - im Irak unter Schiiten und Sunniten, im Libanon kommen noch Christen und Minderheiten hinzu.

Weil sich die Eliten an die Macht klammern, gelten die politischen Systeme als weitestgehend reformunfähig. Ausgerechnet die Mächtigen, vor Corona durch Massenproteste unter Druck gesetzt, profitieren jetzt von der Krise in der Krise. Wie etwa im Libanon: Wegen Corona gibt es keine Demonstrationen mehr.

Der Staat dort sei schon zusammengebrochen, was durch die Pandemie nur verschleiert werde, sagt der libanesische Analyst Makram Rabah. «Die Pandemie gibt der herrschenden Elite Zeit zum Atmen.» Diese versuche jetzt, die Problemlage als Folge des Virus darzustellen und nicht als Ergebnis jahrelanger Korruption und schlechter Regierungsführung, glaubt der Historiker, der an der Amerikanischen Universität in Beirut lehrt: «Und sie versucht, die internationale Gemeinschaft für die kommende Armut zahlen zu lassen.» (dpa)