Kurden bangen um Familien - Konflikt erreicht Deutschland

Etwa eine Million Kurdischstämmige leben hierzulande. Die Spannungen zwischen ihnen und den Deutsch-Türken könnten nun wachsen. Von Hass, Spaltung, einem Pulverfass ist die Rede. Viele bangen um Angehörige und Freunde. Von Yuriko Wahl-Immel

Die Stimmung ist angespannt. Mit der türkischen Militäroffensive in Nordsyrien wachsen die Befürchtungen, dass sich Konflikte zwischen Menschen mit türkischen und kurdischen Wurzeln auch in Deutschland entladen. Eine Eskalation auf beiden Seiten sei nicht auszuschließen, sagt der Politikwissenschaftler und Türkeiexperte Burak Çopur. «Wir sitzen hier in Deutschland auf einem Pulverfass.»

Die Mehrheit der geschätzten bundesweit eine Millionen bis 1,2 Millionen Kurdischstämmigen kommt aus der Türkei. Viele leben in Nordrhein-Westfalen, auch in Berlin, Hamburg oder im süddeutschen Raum. «Die Stimmung hierzulande kann man nicht isoliert von der politischen Entwicklung in der Türkei betrachten, die sich eins zu eins in Deutschland widerspiegelt», glaubt der Professor an der privaten Hochschule IUBH Dortmund. «Je nachdem, in welcher Länge und mit welcher Intensität die völkerrechtswidrige Invasion der Türkei in Nordsyrien andauert, werden auch die Polarisierung und die Konflikte zwischen Deutsch-Türken und Deutsch-Kurden zunehmen.»

Vor allem herrscht große Angst um Angehörige. «In unserer Gemeinde sind viele, die aus den kurdischen Gebieten in Syrien stammen. Fast alle haben dort Freunde, Familie, Nachbarn und sind jetzt in schrecklicher Sorge», erzählt Leylan Mela-Abdullah aus Siegen. Auch sie selbst bange um ihre Schwester und ihren Bruder mit drei Kindern.

«Wenn wir telefonieren, höre ich die Bomben. Ich lebe und arbeite in Deutschland, aber ich fühle mich, als wäre ich mitten im Krieg», sagt die Vorsitzende der Kurdischen Gemeinde Siegen. «Das ist eine ethnische Säuberung gegen die Kurden. Kinder und Ehepaare sterben, die nie irgendwas mit Milizen zu tun haben. Es trifft die Bevölkerung.»

Sie beobachtet mit Blick auf die Beziehung von Türken und Kurden hierzulande: «Der Hass steigt hoch, definitiv.» Mela-Abdullah sieht die Lage so: «Während Kurden weinen und beten, dass die Invasion zuende geht, rufen türkische Ditib-Moschee-Gemeinden zum Gebet für Erdogans Sieg auf.» Die Situation sei heikel. Auch der «Kölner Stadt-Anzeiger» berichtet von solchen Fällen in Ditib-Gemeinden, was der Bundesverband der Türkischen Islamischen Union (Ditib) aber zurückweise. 

Proteste der Kurden verliefen zunächst friedlich. Auch am Wochenende demonstrierten wieder viele Tausend etwa in Köln, Hamburg, Hannover, Frankfurt am Main, Berlin oder Bremen und forderten «Schluss mit dem Massaker». Anfang 2018, nach dem türkischen Einmarsch im nordsyrischen Afrin, hatte es in Deutschland Angriffe militanter kurdischer Gruppen gegeben. Mit der international scharf kritisierten neuen Offensive seit Mittwoch will die Türkei die Kurdenmilizen vertreiben, die sie als terroristisch einstuft.

«Die Kurdenfrage ist ein ungelöster Identitätskonflikt in der Türkei, der mit der Migration auch nach Deutschland getragen wurde», betont Çopur. Die türkische Community hierzulande sei von einem islamisch-konservativen Milieu dominiert. Ankara versuche hier auch mithilfe seiner Lobby-Organisationen und über die sozialen Netzwerke auf Kurdischstämmige und Andersdenkende Druck auszuüben. «Die Propaganda des Erdogan-Regimes ist über die türkischen Massenmedien und Social Media in Sekundenschnelle bei der türkischen Community in Deutschland und heizt dort die Stimmung weiter an.»

Schwierig auch: Unter den Kurden gebe es nicht nur eine Auffassung, sondern unterschiedliche Positionen - manchmal sogar in ein und derselben Familie. Çopur sieht die Kritiker in der deutlichen Mehrheit. Viele Kurden seien aus der Türkei geflüchtet und hätten ein großes Problem mit dem türkischen Staat und Erdogan.

Serdar Yüksel, NRW-Landtagsabgeordneter mit kurdischen Wurzeln, macht Erdogan verantwortlich «für Zuspitzung und Polarisierung und dass sich die Menschen hier weiter spalten und sich nicht mehr im vernünftigen demokratischen Diskurs begegnen». Er hofft, dass es friedlich bleibt. Für Wut sorgt der Fußballprofi Cenk Sahin vom Zweitligisten FC St. Pauli, der gerade auf Instagram in Türkisch schrieb: «Wir sind an der Seite unseres heldenhaften Militärs.» Der Verein distanziert sich klar, Fans protestieren vehement.

Außenminister Heiko Maas (SPD) hat bereits Einschränkungen von Rüstungsexporten in die Türkei angekündigt, vor einer humanitären Katastrophe gewarnt. Erdogan verwahrt sich gegen jegliche Kritik. In Hürth bei Köln will sich nun das türkische Generalkonsulat äußern - zur Offensive «Friedensquelle». (dpa)