«Krieg ist Krieg»: Forscher sehen globale Ungleichheit als Ursache für Terrorismus

Hungernde Kinder in Syrien oder Arbeitslosigkeit im eigenen Land: Beides empfinden junge Europäer als ungerecht. Terroristen nutzen dieses Gefühl für ihre Zwecke. Nun fordern Forscher mehr Selbstkritik vom Westen. Von Paula Konersmann

Die Diskussion darüber, warum mehr Menschen «Charlie» waren als Jakarta, Dikwa oder Istanbul - sie erscheint manchem müßig. Der Philosoph Alain Badiou befasst sich in seinem Essay «Wider den globalen Kapitalismus» denn auch nicht mit Gebets-Hashtags oder eingefärbten Facebook-Profilbildern. Doch er zeigt auf, wie Ungleichheit - tatsächliche und gefühlte - zum Terror beiträgt. Auch Wissenschaftler, die weniger kommunistisch orientiert sind als der Franzose, betonen diesen Aspekt.

13. November in Paris: 130 Menschen sterben, mehr als 300 werden verletzt. Blut auf den Straßen, auf denen man selbst hätte unterwegs sein können, als Tourist oder auf Dienstreise. Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit - die Schlagworte der französischen Revolution - seien «Werte, die wir alle teilen», mit diesen Worten betonte US-Präsident Barack Obama den westlichen Zusammenhalt.

«Absolut richtig» findet Badiou diesen Ausspruch. Doch Obama äußere sich nicht, «wenn sich die Dinge fernab ereignen, in einem undurchschaubaren Pakistan, in einem fanatischen Nigeria oder in einem im Herzen der Finsternis liegenden Kongo.» Indirekt erinnere der amerikanische Präsident also daran, dass «die Menschlichkeit mit unserem guten alten Abendland verbunden ist». Und wenn Politiker wie der französische Präsident Francois Hollande vom Krieg gegen den «Islamischen Staat» (IS) sprechen, dann äußerten sie sich «ganz klar im Namen der Zivilisierten, und zwar in Abgrenzung zu den Barbaren».

Solch plakative Worte wählt der Londoner Terrorismusexperte Peter Neumann in seinem Buch «Die neuen Dschihadisten» nicht. Doch sein Forschungsteam kommt zu einem ähnlichen Schluss: «Obama hat keine Ahnung, was ein 25-jähriger Verkäufer bei Primark tut. Aber wenn er nach Syrien geht und beim 'IS' mitmacht, kennt ihn die ganze Welt.»

Terroristen als Aufständische gegen globale Ungleichheit? In ihrem Selbstverständnis sind sie genau das, meint die Politikwissenschaftlerin Petra Ramsauer. Der IS sei «zu einem beträchtlichen Teil eine Protestbewegung von Jugendlichen», schreibt sie in «Die Dschihad Generation». Viele junge Muslime reagierten empört auf brutale Bilder aus Afghanistan oder Syrien, ergänzt Neumann: Sie wollten «ihre Glaubensbrüder - und damit den Islam insgesamt - verteidigen.»

Diese Mixtur aus Mitgefühl und Unmut nutzen wiederum die IS-Rekrutierer. «Sie sprechen nie als erstes über Terrorismus», weiß die pakistanische Entwicklungsberaterin Gulmina Bilal, die 2015 beim Global Media Forum der Deutschen Welle in Bonn aufgetreten war.

«Sie fragen eher: Was hast du heute gegessen? Ist es nicht schlimm, dass die Kinder in Syrien nichts zu essen haben?» Viele Jugendliche, die in den Krieg nach Syrien oder in den Irak ziehen, beschäftige das Thema Ungerechtigkeit - ob in Nahost oder vor der eigenen Haustür im Westen, wo sie keine Perspektive sehen.

Erkenntnisse wie diese dürften wiederum nicht zu falschem Verständnis führen, mahnt Badiou. Wer Menschen massakriere wie die Attentäter von Paris, handle faschistisch. Der Grund dafür sei «reiner Nihilismus. Am Ende verheizt man sein eigenes Leben für einen ebenso jämmerlichen und künstlichen wie kriminellen Deckmantel.» Es sei «nicht besonders seriös», dafür dem Islam die Schuld zu geben.

Ähnlich argumentiert der Politikwissenschaftler Asiem El Difraoui. Die Terroristen von Brüssel hätten «keine Ahnung mehr vom Islam», sagte er auf sueddeutsche.de. Ihre Anführer setzten ihnen Koran-Suren vor «wie bei einem Lego-Spiel». Am Ende bestehe das simple Bauwerk nur aus den schlimmsten, hasserfüllten Stellen.

Wer dagegen ankommen will, der müsse zunächst selbst umdenken, meint Badiou. Das betreffe etwa das französische Verschleierungsverbot: Von «stigmatisierenden Apartheits-Gesetzen» schreibt Badiou, die sich «gegen arme Bevölkerungsanteile» richteten. Auch mit internationalem Geschehen wie dem Einsatz von Kampfdrohnen müsse sich der Westen selbstkritischer befassen. «Krieg ist Krieg», betont der Philosoph. Und: «Wenn man also das Töten von Menschen für nichts und wieder nichts als barbarischen Akt bezeichnet, dann sind die Westler jeden Tag Barbaren». (KNA)

Mehr Hintergründe in unserem Qantara-Dossier «Internationaler Terrorismus»