Verlierer der Revolution

Zerstörte Kirchen, Verletzte und Tote: Nach der Revolution in Ägypten ist für die Kopten eine unruhige Zeit angebrochen. Immer wieder kam es in den letzten Wochen zu Angriffen auf die christliche Minderheit am Nil. Magdalena Suerbaum berichtet.

Von Magdalena Suerbaum

Das eingemeißelte Kreuz an der Mauer des verwüsteten Gebäudes ist stark verrußt. Dass es sich bei der ausgebrannten Ruine um eine Kirche handelt, lässt sich nur noch an diesem Symbol erkennen. Maurer, Maler und Soldaten arbeiten emsig an dem dreistöckigen Bau, der früher zwei Gebetsräume und eine Sonntagsschule beherbergte. Ein wütender Mob brannte die Kirche in dem Dorf Sol vor wenigen Wochen nieder.

"Die Kopten waren in den letzten Jahrzehnten ständig Opfer von Diskriminierung und Attacken", klagt Youssef Sidhom, Chefredakteur der einzigen koptischen Zeitung in Ägypten. "Wir haben nicht erwartet, dass es nach der Revolution so weiter gehen würde", sagt er.

Der Grund für die Brandstiftung: Eine Beziehung zwischen einer Muslimin und einem Christen. Der Kopte habe das Mädchen vergewaltigt und sei dann geflohen, berichtet Mahmud. Zusammen mit seinen Freunden sitzt er auf einer Treppe nicht weit von der ausgebrannten Ruine. Man habe die Kirche aus Wut über die Flucht des Übeltäters niedergebrannt, erzählt Mahmud. Das Mädchen sei von ihrem Bruder und ihrem Cousin getötet worden: "Das ist unsere Tradition", verteidigt sich Mahmud. Schließlich sei eine uneheliche Beziehung zwischen einem Christen und einer Muslimin das Schlimmste, was es gibt.

Kirche wird vom Militär aufgebaut

Ein Arbeiter hilft beim Aufbau der koptischen Kirche von Sol; Foto: Kristina Bergmann/DW
Schleppender Wiederaufbau nach dem Brandanschlag: Die Gewalt zwischen Muslimen und Kopten war im vergangenen März wegen einer Fehde zweier Familien in Sol eskaliert, die eine Liebesbeziehung zwischen einem Christen und einer Muslimin ablehnten.

​​Der Hohe Militärrat Ägyptens ordnete unterdessen den Wiederaufbau der zerstörten Kirche an. Schwer bewaffnete Soldaten bewachen den Zugang zu der Kirche in Sol. Andere tragen den Schutt aus der Ruine, verputzen die Mauern, streichen. Drei Tage nach dem Brand begann das Militär mit Hilfe der Dorfbewohner, das zerstörte Gotteshaus wieder aufzubauen.

"Jeden Tag sind wir bis nach Mitternacht auf dem Bau", sagt Ahmad, ein Leutnant der Armee. Es sei das erste Mal, dass die Armee diese Art von Hilfe leiste. Auch für die Kosten komme das Militär auf, sagt Leutnant Ahmad. Das Militär will ferner dafür sorgen, dass die aus der Gemeinde Sol vertriebenen Kopten zurückkehren können. Von den 50.000 Einwohnern sind 7000 Kopten.

Die Hilfe des Militärs kam, nachdem es in Kairo zu Protesten vor dem Gebäude des staatlichen Fernsehens gekommen war. Etwa 1.000 Kopten forderten Hilfe beim Wiederaufbau der Kirche. Zudem verlangten sie, dass nicht länger zwischen Kopten und Muslimen Hass geschürt werde.

"Nach der Revolution hat sich der Rassismus unter den Ägyptern verstärkt", meint Magdy Seif. Der orthodoxe Kopte besitzt eine Firma zur Weiterverarbeitung von Plastik in Manshiet Nasser. Dies ist das sogenannte Viertel der Müllsammler, vor allem Kopten leben und arbeiten hier.

Straßensperren und Steine

Aus Protest gegen die religiöse Diskriminierung blockierten die Kopten aus dem Viertel Anfang März im Abendverkehr eine viel befahrene Straße Kairos. Es kam zu Ausschreitungen zwischen den koptischen Müllsammlern und den Vorbeifahrenden.

Das Oberhaupt der koptischen Kirche in Ägypten, Patriarch Shenouda III. (rechts), und der Scheich der Al-Azhar-Universität, Ahmed el-Tayeb (links), während einer gemeinsamen Pressekonferenz nach dem Anschlag auf eine koptische Kirche im Januar; Foto: dpa
Gemeinsam für Frieden und interreligiösen Dialog, vereint gegen den Hass: Das Oberhaupt der koptischen Kirche in Ägypten, Patriarch Shenouda III. (rechts), und der Scheich der Al-Azhar-Universität, Ahmed el-Tayeb (links), während einer gemeinsamen Pressekonferenz nach dem Anschlag auf eine koptische Kirche im Januar 2011

​​Man sei mit Glasflaschen und Steinen aufeinander losgegangen, erzählt Seif. Bis in die Nacht hielten die Kämpfe in der Nähe von Kairos Zitadelle an, dann griff die Armee ein. Ausgebrannte Autowracks, zerstörte Wohnungen, 110 Verletzte und dreizehn Tote sind das traurige Ergebnis der blutigen Auseinandersetzungen.

Angesichts der Gewalt denken viele Kopten wehmütig an die Revolution auf dem Tahrir-Platz zurück. Damals sei es ein Tabu gewesen, über die Religionszugehörigkeit zu sprechen, schwärmt Seif. "Wir Ägypter hatten ein gemeinsames Ziel, den Rücktritt Mubaraks, alles andere war unwichtig."

Mamdouh Nakhla ist Anwalt und der Leiter von "Al Kalema", einem Zentrum für Menschenrechte. Für die Angriffe auf Kopten in den letzten Wochen macht er islamistische Fundamentalisten verantwortlich: "Die Salafisten haben nach der Revolution die ägyptischen Straßen erobert, ohne von der Polizei oder dem Militär daran gehindert worden zu sein", meint Nakhla.

Die Gewalt geht weiter

Die Zeit der Revolution sei ein Idealzustand für die Kopten gewesen, so Nakhla. Tote, Kirchenbrände oder Belästigungen habe es nicht gegeben. Das sei jetzt ganz anders.

Vor zwei Wochen habe man zwei Koptinnen im Süden Ägyptens mit ätzender Flüssigkeit bespritzt, weil sie unverschleiert gewesen seien. Die Auflösung des alten Regimes sei das erste Ziel der Extremisten gewesen, glaubt Nakhla, "nach dem Rücktritt Mubaraks können sie sich nun auf ihr zweites Ziel, die Schikanierung der Kopten, konzentrieren."

Der Journalist Youssef Sidhom macht auch die Armee für die schlechte Situation der Kopten verantwortlich. "Das Militär kümmert sich nicht um die Belange der Kopten und öffnet so den Weg für weitere Diskriminierungen", kritisiert er. Seine Hoffnung liegt nun auf dem "Tahrir-Spirit". So nennt er das Gefühl der nationalen Solidarität, das während der Revolution alle Ägypter zusammen geschweißt habe.

Magdy Seif und Mamdouh Nakhla schauen skeptisch in die Zukunft ihres Landes. Genau wie viele andere Ägypter wollen sie in einem säkularen Staat leben, in dem keine religiöse Diskriminierung existiert. Politisch aktiv wolle man jedoch nicht werden, so Seif. Er setzt andere Prioritäten: "Wir Kopten können für die Veränderungen nichts tun außer fasten und beten."

Magdalena Suerbaum

© Deutsche Welle 2011

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de