Konfliktforscherin Simone Wisotzki: Regeln bei Waffenexporten schärfer auslegen

Deutsche und europäische Waffen tauchen regelmäßig an Kriegsschauplätzen auf, wo sie eigentlich nicht sein dürften. Simone Wisotzki beobachtet als Wissenschaftlerin und Vorstandsmitglied im Frankfurter Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung die Entwicklungen. Als Co-Vorsitzende der Fachgruppe Rüstungsexport der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) publiziert sie zusammen mit anderen Experten jährlich den Rüstungsexportbericht. Mey Dudin hat sich mit ihr unterhalten.

Die Bundesregierung betont in Diskussionen um deutsche Waffen in Kriegsgebieten, sie verfolge eine restriktive Exportpolitik. Sind unsere Regeln wirklich so restriktiv?

Simone Wisotzki: Die Regeln sind zwar restriktiv, aber die Umsetzung ist es oft nicht. Schauen wir uns die Genehmigungen im Jahr 2017 an: Da gehen rund 60 Prozent der Rüstungsgüter an sogenannte Drittstaaten, die nicht zu EU und Nato gehören und in die nur in Ausnahmefällen exportiert werden darf. Besonders problematisch sind beispielsweise Lieferungen nach Saudi-Arabien und an die Vereinigten Arabischen Emirate, die aktuell in der Kriegskoalition gegen die Huthi-Rebellen im Jemen schwere Menschenrechtsverletzungen verüben.

Warum darf trotzdem dorthin exportiert werden?

Wisotzki: Es wird in der Praxis abgewogen zwischen sicherheitspolitischen Interessen und Menschenrechten. Dann wird geschaut: Was sind das für Waffen, die geliefert werden sollen, und was kann man mit denen machen? Argumentiert wird, dass es sich um Einzelfallentscheidungen handelt, oder mit dem Vertrauensschutz im Fall von bereits erteilten Genehmigungen. Daher muss man meines Erachtens beim Genehmigungsverfahren doppelte Sorgfalt walten lassen und im Zweifelsfall solche Genehmigungen revidieren.

In welchen Fällen haben sich Rüstungsexporte rückblickend als besonders problematisch erwiesen?

Wisotzki: 2008 wurde an Saudi-Arabien die Lizenz erteilt, Sturmgewehre des Modells G36 zu produzieren. Sie waren für den Eigenbedarf gedacht, für die Polizei und das saudische Militär. Inzwischen sind diese Waffen im Jemen aufgetaucht. Ein anderes Beispiel ist das Nato-Mitglied Türkei, das völkerrechtswidrig in Syrien einmarschiert ist, dort deutsche Leopard-2-Panzer gegen Kurdenmilizen einsetzt und sich Menschenrechtverletzungen zuschulden kommen lässt. Eine restriktive Exportpolitik würde so aussehen, dass es keine Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien und in die Türkei mehr gibt. Doch hat Saudi-Arabien 2018 trotz Seeblockade im Jemen-Krieg acht Patrouillenboote geliefert bekommen - und das, nachdem die aktuelle Bundesregierung ihre Arbeit aufgenommen hat.

Rüstungskonzerne haben Tochterunternehmen und Beteiligungen weltweit. Kann man das noch kontrollieren?

Wisotzki: Die Internationalisierung der Rüstungsindustrie ist ein besorgniserregender Trend. Wir sehen ganz deutlich, dass Länder wie Saudi-Arabien daran arbeiten, von Rüstungsimporten unabhängiger zu werden und eigene Produktionsstandorte aufbauen. Deutsche Unternehmen arbeiten mit internationalen Partnern zusammen, um Waffen und Munition direkt vor Ort zu produzieren. Ein Beispiel ist der deutsche Rüstungskonzern Rheinmetall, der mit dem südafrikanischen Unternehmen Denel den Joint Venture Rheinmetall Denel Munition gegründet hat. Von diesem Joint Venture wiederum wird seit 2016 eine Munitionsfabrik in Saudi-Arabien betrieben, in der zurzeit täglich 300 Artilleriegranaten und 600 Mörsergranaten produziert werden. Das sind die Waffen, die im Jemen zum Einsatz kommen.

Eine neue Entwicklung ist, dass wiederum Kleinwaffen zunehmend modular produziert werden. Das heißt, dass man sie komplett auseinandernehmen und wieder zusammensetzen kann. Es ist vorstellbar, dass in unterschiedlichen Staaten verschiedene Einzelteile produziert und auf den Markt gebracht werden. Die technologische Entwicklung schreitet so schnell voran, dass Gesetze und Regelungen oft viel zu spät kommen.

Welche Möglichkeiten hat die Politik, dennoch dagegen vorzugehen?

Wisotzki: Sie muss immer wieder Gesetze ändern und Lücken schließen. Die Bundesregierung könnte zum Beispiel Genehmigungsvorbehalte der Außenwirtschaftsverordnung auch auf technische Unterstützung ausweiten. Das würde die Unterstützung von Ländern wie Saudi-Arabien und der Türkei durch deutsche Konzerne beim Bau von Waffenfabriken erschweren. Ein Rüstungsexportkontrollgesetz wäre zudem wichtig und richtig, auch ein Beschluss, dass grundsätzlich nur noch an Länder geliefert wird, die das Internationale Waffenhandelsabkommen (Arms Trade Treaty) unterzeichnet haben. Bisher haben dieses Abkommen weder die arabischen Staaten unterschrieben, noch Indien oder Pakistan. Im Koalitionsvertrag von Union und SPD hätte man solche Maßnahmen durchaus aufnehmen können.

Wie sieht es mit der Haftung der Firmen aus, wenn Waffen an anderen Orten zum Einsatz kommen als vorgesehen?

Wisotzki: Eine generelle Haftung gibt es nicht. Allerdings klagen im Moment mehrere Nichtregierungsorganisationen vor europäischen Gerichten. In Rom wurde eine Strafanzeige gegen die Firma RWM Italia - eine Tochterfirma von Rheinmetall - und die italienische Behörde für Waffenexporte eingereicht, nachdem Aktivisten mutmaßliche Teile einer Lenkbombe des Unternehmens im Jemen fanden. Durch die Bombe war eine sechsköpfige Familie getötet worden. In Stuttgart läuft ein Prozess gegen Heckler & Koch mit dem Vorwurf illegaler Waffenlieferungen in mexikanische Unruheprovinzen. Die Waffen sollen 2014 im Fall der Massenverschleppung von Dutzenden Studenten im Bundesstaat Guerrero zum Einsatz gekommen sein.

Menschenrechtsaktivisten hilft bei solchen Klagen vor allem die Markierungspflicht. Wie zuverlässig sind diese Kennzeichnungen?

Wisotzki: Es gibt immer wieder Forderungen nach einheitlichen und unwiderruflichen Markierungsstandards. In Libyen sind G36-Sturmgewehre aufgetaucht, bei denen die Markierungen aus dem Polymergehäuse herausgeätzt waren. Es gab bei diesen Modellen keine Markierung auf Metall, beispielsweise auf dem Lauf der Waffe. Versuche, solche Markierungen zu entfernen, würden die Waffen unbrauchbar machen. (epd)