Klimakrise: Die Welt bleibt bei Symptombehandlung

Wenn die Weltgemeinschaft die Erderwärmung in einem halbwegs erträglichem Rahmen halten will, muss sie sich ranhalten. Doch die Klimakonferenz am Roten Meer lässt erneut eine Gelegenheit verstreichen. Dennoch fällt eine historische Entscheidung. Von Martina Herzog, Johannes Sadek und Larissa Schwedes, dpa



Scharm el Scheich. Erwartet wurde ein «Feuerwerk» erhitzter Argumente, zu sehen war allenfalls ein Teelicht: Die öffentliche Auseinandersetzung der Delegierten aus aller Welt um den von manchen heiß ersehnten Ausstieg aus Öl, Gas und Kohle bleibt aus bei der Klimakonferenz in Scharm el Scheich. Nach zweiwöchigen Beratungen ist die Weltgemeinschaft praktisch keinen Schritt weiter bei der Bekämpfung des Klimawandels - hat sich aber in einer historischen Entscheidung auf einen Hilfstopf für ärmere Länder geeinigt, die besonders unter dessen verheerenden Folgen leiden.



Viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind schon abgereist, als der ägyptische Konferenzpräsident Samih Schukri in der Nacht zum Sonntag mit monotoner Stimme eine Abstimmung nach der anderen abwickelt. Müde Delegierte - und keine Kraft mehr für große Kämpfe.



Trotz alldem liegt im Morgengrauen von Scharm el Scheich auch ein Funken Hoffnung. In Ägypten ist gelungen, was Menschen an der vordersten Front der zunehmend heftiger wütenden Klimakrise seit Jahrzehnten fordern: Reiche Staaten, deren hoher Ausstoß von Treibhausgasen die Erderwärmung maßgeblich befeuert hat, werden zur Kasse gebeten, wenn Wirbelstürme, Fluten oder Dürren in ärmeren Ländern Lebensgrundlagen zerstören. Beobachter feiern die Einigung auf einen festen Finanztopf für diese Schäden als «Meilenstein», Außenministerin Annalena Baerbock als «neues Kapitel in der Klimapolitik».



Weniger als 24 Stunden zuvor scheint selbst eine gemeinsame Abschlusserklärung noch ungewiss. In einer dramatischen Intervention drohen Deutschland und die EU, den Pakt notfalls platzen zu lassen. «Wir können nicht akzeptieren, dass das 1,5-Grad Ziel hier und heute stirbt», warnt der EU-Kommissions-Vize Frans Timmermans am Samstagmorgen.



Außenministerin Baerbock mahnt, um diese international vereinbarte Grenze zur Abwendung der katastrophalsten Folgen der Erderwärmung noch zu erreichen, müsse die Welt ihre Anstrengungen mehr als verdoppeln. Spätestens 2025 müsse der Höchststand des Treibhausgasausstoßes erreicht sein. Und schon im nächsten Jahrzehnt müsse der Ausstoß an Treibhausgasen halbiert werden. «Wenn man nicht genug tut, um Emissionen zu reduzieren und das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten, kann kein Geld der Welt mehr das Leid lindern, das durch Naturkatastrophen entstehen wird», so Timmermans düster.



Grünes Licht will die EU, die für ihre Mitgliedsstaaten gemeinsam verhandelt, zu diesem Zeitpunkt nur mit mehr Ehrgeiz beim Klimaschutz geben. Dies unter der Bedingung, dass auch Länder wie das wirtschaftsstarke China, das auch die meisten Treibhausgase ausstößt, in den Topf einzahlen müssen. Soweit die vollmundig ausgegeben roten Linien - die aber nicht lange halten sollten.



«Falls irgendwer gehofft hatte, dass das hier der Ort ist, wo die Klimakrise bewältigt wird, können wir verkünden, dass das nicht der Fall ist», kommentiert die deutsche Klimaaktivistin Luisa Neubauer bitter, nachdem der Hammer ohne entscheidende Klimaschutz-Fortschritte gefallen ist.



Der Experte Niklas Höhne von der Denkfabrik New Climate Institute wird noch deutlicher: «Das 1,5-Grad-Limit bleibt weiter auf der Intensivstation, bei sich verschlechterndem Zustand.» Als Baerbock, Timmermans und Co. am Sonntagmorgen vor die Kameras treten, ist längst klar, dass die knallharten Ansagen vom Tag vorher ein Bluff waren. Die deutsche Außenministerin spricht von einem «Ergebnis mit Hoffnung, aber auch mit großer Frustration».



Timmermanns sagt, bei der Frage von Ausgleichszahlungen für Klimaschäden in ärmeren Ländern habe die Europäische Union vor einem «moralischen Dilemma» gestanden. Die Vorlage von Scharm el Scheich sei beim Klimaschutz nicht weit genug gegangen, aber «wenden wir uns deshalb ab und vernichten einen Fonds, für den verwundbare Länder über Jahrzehnte so hart gekämpft haben»? So ein Schritt wäre ein «gewaltiger Fehler und eine große verpasste Gelegenheit» gewesen, verteidigt er sich.



Doch hatte der Vorstoß je eine Chance? Mit ihren hoch gesteckten Zielen für die Konferenz bewegten Deutschland und die EU sich zwischen mächtigen Staaten, die ihren Einfluss still aus dem Hintergrund wirken ließen. Für Öl-Riesen wie Russland, Iran und Saudi-Arabien sind Formulierungen zum Ausstieg aus den fossilen Energieträgern ein rotes Tuch. Öffentlich treten sie in Scharm el Scheich kaum in Erscheinung, doch in den Gesprächen bilden sie einen festen Block gegen mehr Klimaschutz.



Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, der die Klimakrise durch einen neuen Wettlauf um fossile Energiequellen noch verschärft hat, wirkt an einigen Konferenztagen ganz weit weg. Dass Aktivisten den wohl einzigen öffentlichen Termin eines russischen Regierungsvertreters kurzzeitig stören, geht fast unter.



Wer mehr erfahren wollte über die Positionen der USA und Chinas - nach wie vor die größten Verursacher klimaschädlicher Emissionen - hatte es schwer. Amerikanische Reporter gerieten in die bizarre Lage, die europäische Delegation zur Haltung der US-Regierung fragen zu müssen, weil diese zu heißen Themen wie Klima-Ausgleichszahlungen den Kanal ziemlich dicht machte. Chinas Klimaunterhändler Xie Zhenhua tauchte mal hier, mal dort auf, zu einem Termin mit dem US-Klimabeauftragten John Kerry auch unangekündigt.



Unter Leitung der ägyptischen Gastgeber, die nach Einschätzung mancher Beobachter undurchsichtig agierten, steuerte das Treffen auf eine Bauchlandung zu. Das Misstrauen gegenüber der Konferenzleitung wuchs, von chaotischen Abläufen war die Rede. Über Kompromissvorschläge etwa konnten Unterhändler ihren Delegationen teils nur aus dem Gedächtnis berichten, weil sie weder Papiere erhielten noch Notizen machen durften. Zur Halbzeit der Konferenz beschwerte die deutsche Botschaft sich bei der Regierung in Kairo über Beobachtung durch Sicherheitsleute, die in Zivil, manche mit Funkgeräten, auf dem UN-Gelände und nicht zuletzt am deutschen

Pavillon herumgeisterten.




Eine persönliche Begegnung mit Außenminister Schukri, dessen Land immer wieder in der Kritik steht wegen Verletzungen von Menschenrechten, wurde Außenministerin Baerbock offenbar verwehrt. Die Grünen-Politikerin sagte am Sonntag: «Es hat hier kein Treffen zwischen dem ägyptischen Außenminister und der deutschen Außenministerin gegeben.» (dpa)