Kleiner Staat, großes Ego: Wie die Emirate 2020 ihre Macht ausbauen

Die Vereinigten Arabischen Emirate präsentieren sich als weltoffen und friedlich. Im Stillen hat das reiche Land seinen Einfluss in der Region aber auch militärisch stetig erweitert - auch auf die Gefahr hin, den großen Nachbarn Saudi-Arabien dabei links liegen zu lassen. Von Johannes Schmitt-Tegge

Als Astronaut Hassa al-Mansuri im September zum Außenposten der Menschheit flog, betrat er die Raumstation ISS fast als eine Art Kulturbotschafter der arabischen Welt. Der Emirater hatte nicht nur arabische Speisen dabei, sondern gab den Kollegen auf der Erde auch die wohl erste Tour der ISS auf Arabisch überhaupt. Wer bis dahin gedacht hatte, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) seien ein reicher, sonst aber eher bedeutungsloser Kleinstaat am Persischen Golf, konnte nach Al-Mansuris Einsatz umdenken.

Als «weiche Supermacht» beschrieb der Staatsminister für Auswärtiges, Anwar Gargasch, welche Rolle die Emirate auf der Weltbühne anstreben. Von «weich» kann aber keine Rede sein: Trotz einer vergleichsweise kleinen Streitkraft von etwa 50.000 Soldaten mischt das Land im Nahen Osten, in Ost-Afrika und teils auch Südasien militärisch mit. Beim Machtausbau stellen sich die VAE unter Kronprinz Mohammed bin Said Al Nahjan nicht nur geschickter an als Saudi-Arabien, sondern treten auch in direkte Konkurrenz zum großen Nachbar.

Beispiel Jemen: In den Krieg gegen die Huthi-Rebellen waren die VAE als wichtigster Partner Saudi-Arabiens mitgezogen. Aber während Riad die Huthis im Norden zu bekämpfen begann, konzentrierten sich die Emirate auf den Süden, um dort - auch aus wirtschaftlichem Eigennutz - den Hafen Aden und Wasserwege zu kontrollieren. Und statt sich mit Riad hinter die Regierung des Jemen zu stellen, stärkten sie die Separatisten im Süden, bevor sie ihre Bodentruppen schließlich fast komplett abzogen.

Die VAE, so die Botschaft, sind kein militärisches Anhängsel der Saudis, sondern verfolgen eigene Interessen. So auch im Konflikt mit dem Iran. Saudi-Arabien und US-Präsident Donald Trump setzen auf «maximalen Druck», aber die Emirate schlagen inzwischen versöhnlichere Töne an: Es gebe «Raum für den Erfolg kollektiver Diplomatie», sagte VAE-Staatsminister Gargasch im November.

Hintergrund ist die Angst vor einem Krieg auf eigenem Boden. Ein bewaffneter Angriff würde den Ruf eines der wirtschaftlich stärksten Länder des Nahen Ostens schwer treffen. Geht es dann aber darum, kleinere Nachbarn wie Qatar und den Oman in Schach zu halten, liegen die Emirate wieder ganz auf einer Linie mit Saudi-Arabien.

In Libyen versorgten die Emirate General Khalifa Haftar mit Waffen - unter Bruch von UN-Resolutionen. Im Zuge des Jemenkriegs und dem Kampf gegen Extremisten entsandte das Land auch Truppen nach Dschibuti, Eritrea und Somalia. Dazu kamen Militäreinsätze in Afghanistan und Syrien an der Seite der USA. «Kleiner Staat mit positiv-großem Ego», schrieb ein Kommentator der Tageszeitung «Gulf News».

Gleichzeitig üben sich die VAE in Imagepflege und setzen sich als weltoffen, tolerant und friedlich in Szene. Papst Franziskus' Besuch im Februar markierte den ersten eines Katholiken-Oberhaupts auf der Arabischen Halbinsel überhaupt. Mit dem Kunstmuseum Louvre Abu Dhabi wird Kultur von internationalem Rang in den Wüstenstaat geholt, 2020 lädt Dubai zur Weltausstellung. Beide Städte gelten in vermögenden Kreisen der Region als glitzernde Reiseziele, in denen man shoppen, schick Essen gehen und in exklusiven Strand-Clubs entspannen kann.

Aber während in Dubai schon der nächste Wolkenkratzer in die Höhe wächst, der das weltweit höchste Gebäude Burj Khalifa bald überragen soll, geht es mit den Menschenrechten im Land abwärts. «Eine Zivilgesellschaft ist nicht vorhanden», sagt Experte Devin Kenney von der Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Als Besucher könne man in den Emiraten Geschäfte machen, Bars besuchen oder im hinduistischen Tempel beten - aber nur, «so lange man das innerhalb der vorgeschriebenen Grenzen tut und den Staat niemals kritisiert».

Chancen auf politische Teilhabe haben die neun Millionen Einwohner  (etwa elf Prozent davon sind Staatsbürger) kaum. Politische Parteien gibt es nicht. Exekutive, Gesetzgebung und Rechtsprechung liegen der US-Organisation Freedom House zufolge allein bei den Herrschern der sieben Emirate, in Dynastien teils seit Jahrhunderten vererbt. In offenen Ratssitzungen können Bürger aber etwa Vorschläge machen.

Dank satter Wohlfahrtsprogramme - die VAE zählen zu den reichsten Ländern der Welt - und sehr niedriger Arbeitslosigkeit genießt die Regierung auch breiten Rückhalt beim Volk. Es gibt sogar eigene Ministerposten für die Bereiche «Glück», «Toleranz» und «Lebensmittelsicherheit».

Welches Schicksal bei freier Meinungsäußerung drohen kann, zeigt der Fall des Aktivisten Ahmed Mansur, der zu Reformen im Land aufgerufen hatte. Mansur wurde 2017 festgenommen und zu zehn Jahren Haft verurteilt. Er habe im Internet falsche Informationen und Gerüchte verbreitet, lautet der Vorwurf. Laut Amnesty International hat er kein Bett, kein fließendes Wasser und darf seine Einzelzelle gar nicht verlassen. Im September hätten Sicherheitskräfte ihn geschlagen. Im Oktober feierte Ahmed Mansur in der Haft seinen 50. Geburtstag. (dpa)