Kirchenführer in Nahost warnen vor einseitiger Jerusalempolitik

Weihnachten im Heiligen Land ist trotz des Jerusalemstreits nicht gefährdet. Sorgen um das Gleichgewicht in der Stadt machen sich christliche Vertreter in Nahost dennoch.

Am 6. Dezember hatte US-Präsident Donald Trump entgegen dem bisherigen internationalen Konsens Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkannt. Der Umzug der US-Botschaft nach Jerusalem soll folgen. Ein befürchteter dritter Palästinenseraufstand blieb trotz teils gewaltsamer Proteste bisher aus. Dennoch könnten derart einseitige Schritte den universellen Charakter Jerusalems als heilige Stadt gefährden, mehren sich die Warnungen von Kirchenführern aus Nahost.

In Kairo weigerte sich neben dem Großimam der Al-Azhar-Universität, Ahmed al-Tayyeb, auch Koptenpapst Tawadros II. nach der Trump-Erklärung wie geplant den amerikanischen Vizepräsidenten Mike Pence bei dessen Nahostbesuch zu empfangen. Von Pences Besuchsprogramm verschwanden auch Bethlehem und der gerüchteweise zunächst geplante Besuch der Grabeskirche.

Mit einer Stimme sprechen Kirchenvertreter verschiedener Konfessionen aus Jerusalem, Kairo, Beirut und Amman gegen den amerikanischen Schritt, und ihre Worte gleichen denen vieler Muslime. Das sensible Gleichgewicht Jerusalems, drei Religionen heilig und gleichzeitig schwierigster Zankapfel im israelisch-palästinensischen Konflikt, sei in Gefahr. 

Jerusalems Status Quo, so etwa die Jerusalemer Kirchenführer in ihrer am Sonntag veröffentlichten Weihnachtsbotschaft, müsse erhalten bleiben, "bis ein auf Verhandlungen und internationalem Recht basierendes gerechtes Friedensabkommen zwischen Israelis und Palästinensern erzielt wurde".

Einen starken Fürsprecher für die Bewahrung des Sonderstatus Jerusalems haben sie in Papst Franziskus und dem Vatikan, der für ein international garantiertes Statut plädiert, das die Heilige Stadt aus dem politischen Streit heraushält und den drei Religionen gleiche Rechte garantiert. So soll vermieden werden, dass eine Seite Jerusalem auf Kosten anderer für sich beansprucht.

Genau diesen exklusiven Anspruch aber sehen arabische Vertreter und mit ihnen die Führer der mehrheitlich arabischen Christen im Heiligen Land und in Nahost in der israelische Politik. In ihrer scharfen Zurückweisung der amerikanischen Jerusalementscheidung beklagen sie die "Judaisierung" der Stadt. Gemeint sind Israels Rede von Jerusalem als "ewige und ungeteilte Hauptstadt" ebenso wie israelische Zugangskontrollen zu heiligen Stätten wie dem Tempelberg. In der Kritik stehen aber auch israelische Versuche, Fakten zu schaffen und etwa durch Siedlungsbau die Demografie der Stadt zugunsten der jüdischen Mehrheit zu verändern.

Der Frieden in Nahost, so Libanons Maronitenpatriarch Kardinal Bechara Rai, stehe und falle mit einer Lösung der Palästinenserfrage, die "das legitime Recht des palästinensischen Volkes" garantiere, "einen eigenen Staat auf dem Land zu haben, auf dem es für Jahrhunderte gelebt hat". Eine gerechte Verhandlungslösung für Jerusalem, sind sich Christen und Muslime einig, ist dafür essenziell. Die Heiligkeit Jerusalems habe der Region ihre Bedeutung verliehen, heißt es in der Weihnachtsbotschaft aus Jerusalem. Auch die Präsenz der Christen stehe "strikt in Beziehung zu den Heiligen Stätten und ihrer Zugänglichkeit" als Orte der Begegnung für die Einheit von Menschen verschiedener Religionen.

Beides, den universellen Charakter der Stadt und ihre Offenheit für Muslime, Christen und Juden sehen die führenden Christen der Region gefährdet. Ihre Beunruhigung angesichts der gegenwärtigen sozio-politischen Situation teilten der Leiter des Lateinischen Patriarchats in Jerusalem, Erzbischof Pierbattista Pizzaballa, und andere Kirchenführer am Wochenende Jordaniens König Abdullah II. mit. Als Wächter der muslimischen und christlichen Stätten Jerusalems versprach dieser seinen Rückhalt im Kampf um den Status Quo.

Gleichzeitig betonte Abdullah II. die Harmonie im muslimisch-christlichen Miteinander in Jordanien. Die gemeinsame Sorge um den besonderen Charakter Jerusalems lässt Christen und Muslime in Nahost näher zusammenrücken. Das "bereits jetzt tiefe Misstrauen" zwischen Arabern und Juden aber, so Pizzaballa, droht sich durch die jüngsten Erklärungen noch weiter zu vertiefen. Die bevorstehenden Weihnachtsfeierlichkeiten stellt die gegenwärtige Situation im Heiligen Land wohl nicht infrage. Aber einmal mehr wird in diesem Jahr der scharfe Kontrast zwischen der friedlichen Botschaft von Weihnachten und der konfliktreichen Realität sichtbar. (KNA)