Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor: Mehr mit Atheisten reden

Die Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor plädiert für eine stärkere Präsenz von Atheisten in öffentlichen Debatten. Agnostiker und Religionslose spielten dort bisher "kaum eine Rolle", sagte Kaddor am vergangenen Dienstagabend bei einem Vortrag in der katholischen Journalistenschule ifp in München. Dabei stellten säkulare Menschen inzwischen mit einem Anteil von mehr als 30 Prozent an der Gesamtbevölkerung die größte Einzelgruppe dar.

Die Mitgründerin des Liberal-Islamischen Bundes sagte, nach ihrer Erfahrung bestünden große Spannungen nicht zwischen Christen, Juden und Muslimen, sondern zwischen Gläubigen und Ungläubigen. Daher müsse man sich mehr mit den Haltungen religionsloser Menschen befassen. Einige von ihnen glaubten, dass es viele Konflikte ohne Religionen gar nicht gäbe. Diese Auffassung sollte nicht bagatellisiert werden.

Kaddor sprach sich dafür aus, den Dialog nicht mit den in den Medien überrepräsentierten "populistischen", aggressiven atheistischen Positionen zu suchen, sondern mit denen, die Religionen mit Respekt begegnen könnten. Dass Religionsgemeinschaften zunehmend weniger attraktiv seien, hänge auch mit deren Angebot zusammen, meinte die Publizistin. Sie täten sich oft schwer mit Antworten auf aktuelle Fragen. Auch werde Religion häufig von Gläubigen missbraucht, um sich von anderen abzugrenzen.

Ein unverkrampftes Gespräch über den Islam hält Kaddor gegenwärtig für praktisch unmöglich. Sie merke das an sich selbst. Manchmal sitze sie acht Stunden an einer Kolumne und gehe jedes einzelne Wort danach durch, ob und wer sich darüber vielleicht aufregen könnte.

Die Wissenschaftlerin äußerte sich beim sogenannten Görres-Abend des ifp. Damit erinnert die Journalistenschule jedes Jahr an den katholischen Publizisten Joseph Görres (1776-1848), der auf dem Alten Südlichen Friedhof unmittelbar gegenüber der Einrichtung begraben liegt. (KNA)