Islamwissenschaftler Karimi fordert keine «Gebrauchsanweisung», sondern eine umsichtige, reflektierte Haltung zum Koran

Nach Ansicht des Münsteraner Religionsphilosophen Ahmad Milad Karimi bedürfe der Koran keiner «Gebrauchsanweisung», sondern einer umsichtigen und reflektierten Haltung. Mit der Idee einer «Gebrauchsanweisung» würde gerade die Dynamik und die Offenheit der koranischen Offenbarung auf eine Leseart reduziert, fixiert und mithin verfehlt, so Karimi.

Die heilige Schrift der Muslime enthalte viele, wörtlich verstanden widersprüchliche Aussagen. Dies mache auch extremistische Lesarten möglich: «Selbstverständlich hat jede Schandtat, die im Namen des Islam verübt wird, etwas mit dem Islam zu tun.» Muslime bräuchten daher genauso wie Christen, Juden, Buddhisten und Hindus auch Interpretationshilfen.

Theologen und Moscheevereine sollten zu einem modernen Verständnis des Korans beitragen, sagte Karimi, der als stellvertretender Leiter des Zentrums für Islamische Theologie an der Universität Münster lehrt. Bei der von der rheinland-pfälzischen Landesregierung und dem Zentralrat der Muslime organisierten Tagung «Friedensverantwortung im Islam» diskutierte er mit anderen Experten und Verbandsvertretern über die Rolle der Muslime in Deutschland. Der Zentralratsvorsitzende Aiman Mazyek erklärte, die Notwendigkeit kritischer Theologie werde inzwischen auch von den Islamverbänden anerkannt: «Die Phase, in der man fremdelte, ist überwunden.»

Der Mainzer Islamismus-Experte Marwan Abou-Taam warnte vor überzogenen Erwartungen an Moscheen und islamische Theologen. «Aus Europa sind 20.000 Menschen nach Syrien gegangen, um dort zu kämpfen», sagte er. «Dass sie hier gelebt haben und sozialisiert wurden, hat aus ihnen keine guten Demokraten oder Friedensaktivisten gemacht.» Dafür sei aber in erster Linie nicht die Religion verantwortlich, sondern die Integrationspolitik, sagte der wissenschaftliche Mitarbeiter des rheinland-pfälzischen Landeskriminalamtes: «Wir brauchen mehr integrationspolitische statt religionspolitische Debatten.»

Auch in Deutschland seien die Muslime daran gewöhnt, dass sie in der Öffentlichkeit stets auf ihre Religion reduziert würden: «Wenn wir uns selbst darauf berufen, wird es uns dann vorgeworfen.» Andererseits könnten Muslime in Deutschland ihren Glauben so frei leben wie in fast keinem anderen Staat der Welt, sagte Abou-Taam.

Daher hätten sie auch eine «besondere Friedensverantwortung». Wenn etwa türkischstämmige Menschen in Deutschland für Präsident Erdogan statt für die Demokratie auf die Straße gingen, werde das mit den entsprechenden Folgen in der deutschen Gesellschaft wahrgenommen: «Es gibt kein Grundrecht, gemocht zu werden.» (DW/epd)