Islamischer Religionsunterricht in Hessen: ein "Übermaß" an Abhängigkeit vom türkischen Staat

Hessen beendet die Zusammenarbeit mit dem Moscheeverband DITIB beim islamischen Religionsunterricht. Islamverbände suchen nun nach einem "adäquatem Ersatz", auch in Moscheegemeinden.

Die Entscheidung der schwarz-grünen Landesregierung in Hessen unter Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) war zwar schon länger erwartet worden, doch nun traf sie den deutsch-türkischen Moscheeverband DITIB offenbar ins Mark. Es sei ein "falsches und fatales Zeichen", islamischen Religionsunterricht in Zusammenarbeit mit DITIB Hessen ab dem kommenden Schuljahr nicht mehr zu erteilen, betonte der Moscheeverband. Diese Entscheidung werfe die politische Beteiligung und gesellschaftliche Akzeptanz von Muslimen "um Jahrzehnte zurück", so Ditib Hessen.

Auch der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) kritisierte die Entscheidung der Regierung in Wiesbaden als "politisch falsch". Muslimische Kinder und Jugendliche würden damit "um ihr Grundrecht auf einen durch eine islamische Religionsgemeinschaft erteilten Religionsunterricht nach Artikel 7 des Grundgesetzes beraubt", erklärte der ZMD-Landesvorsitzende Said Barkan.

Der hessische Kultusminister Alexander Lorz (CDU) hatte am 28. April in einer eilig anberaumten Online-Pressekonferenz mitten in der Corona-Krise erläutert, dass bestehende Zweifel an der Unabhängigkeit von DITIB Hessen vom türkischen Staat nicht hätten ausgeräumt werden können. Er habe die Entscheidung nach eingehender Prüfung der von DITIB Hessen eingereichten Unterlagen und auf Basis aktualisierter gutachterlicher Einschätzungen getroffen. Lorz wies zugleich darauf hin, dass der in Zusammenarbeit mit der islamischen Gemeinschaft der Ahmadiyya eingerichtete islamische Religionsunterricht "unberührt" bleibe.

Die aktive Kooperation mit DITIB Hessen wird aber "vollständig ausgesetzt". Hessen hatte im Schuljahr 2013/14 als erstes Bundesland den bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterricht eingeführt. Die DITIB hatte dabei Einfluss auf die Lehrpläne und die Lehrerlaubnis für die Lehrkräfte. Betroffen von der jetzigen Entscheidung sind laut Ministerium alle bisherigen 56 Standorte in der Grundschule sowie 12 weiterführende Schulen der 5. und 6. Jahrgangsstufe in dem Bundesland.

Die Landesregierung beruft sich bei ihrer jetzigen Entscheidung vor allem auf ein aktualisiertes Gutachten des Bonner Staatsrechtlers Josef Isensee. Darin heißt es, DITIB Hessen bilde "das letzte Glied einer Weisungskette", die über den Ditib-Bundesverband zur türkischen Religionsbehörde Diyanet in Ankara führe, die ihrerseits unmittelbar dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan unterstehe. In dieser Organisationseinheit verfüge der Ditib-Landesverband nicht über "jenes Minimum an institutioneller Unabhängigkeit, derer er bedarf, um selbstbestimmt seine Aufgabe als Religionsgemeinschaft erfüllen zu können".

Die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB) steht seit Jahren im Verdacht, über die türkische Religionsbehörde direkt von Erdogan abhängig zu sein. Nach dem Putschversuch in der Türkei im Jahr 2016 soll sie zudem eine Rolle bei der Bespitzelung von vermeintlichen Angehörigen der oppositionellen Gülen-Bewegung in Deutschland gespielt haben.

Aus Sicht der hessischen Landesregierung spielte die seit 2016 festzustellende "besorgniserregende Entwicklung" weiterhin eine Rolle - trotz der jüngsten Reformen bei der Satzung von DITIB Hessen und in der Organisation des Landesverbandes. Diese Bemühungen lieferten zwar "brauchbare Ansätze", so das aktualisierte Gutachten Isensees. Doch diese Maßnahmen des Landesverbandes änderten nichts an seiner Stellung zum Gesamtverband DITIB und zum türkischen Staat. Sie trügen nicht dazu bei, so Isensee, einen "fundamentalen Defekt" zu beheben: "das Übermaß an Staatsabhängigkeit".

Kultusminister Lorz kündigte zugleich an, den Schulversuch "Islamunterricht" in Hessen künftig ausbauen zu wollen. Laut Lorz ist dieses Unterrichtsangebot - anders als konfessioneller Religionsunterricht - nicht bekenntnisorientiert und in alleiniger staatlicher Verantwortung ohne die Beteiligung von Religionsgemeinschaften organisiert. Dieser Schulversuch soll nun im Schuljahr 2020/2021 auf die 62 Standorte, an denen derzeit Religionsunterricht in Kooperation mit DITIB Hessen erteilt werde, überführt werden.

Der ZMD-Landesverband sieht dies als das "denkbar schlechteste Modell" an. Diese "Mogelpackung" sei auch verfassungsrechtlich nicht haltbar, sagte der ZMD-Landesvorsitzende Barkan. "Wie soll der Staat ein religiöses Angebot bekenntnisfrei unterrichten dürfen?", fragte er. Der Landesverband empfehle allen muslimischen Eltern, "ihre Kinder nicht für das Fach 'Islamunterricht', sondern für das Fach Ethik anzumelden". Auch der Koordinationsrat der Muslime in Deutschland (KRM) zeigte sich enttäuscht über die Entscheidung des Landes. Der KRM kündigte an, seine Mitglieder würden jetzt den Religionsunterricht in ihren Moscheegemeinden ausbauen, um Schülern einen "adäquaten Ersatz" anzubieten.

Skepsis zu dem von Lorz vorgeschlagenen staatlichen Islamkunde-Unterricht kam auch von der hessischen SPD. Dies könne nur eine Übergangslösung sein, betonte der bildungspolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Christoph Degen. Nötig sei langfristig eine Konstruktion, die von allen beteiligten Gruppen getragen werde. Der SPD-Bildungsexperte mahnte, eine Lösung "völlig an DITIB vorbei" werde aufgrund der Größe des Verbandes nicht funktionieren. (KNA)