Islam und Gewalt: Streitgespräch zwischen Abdel-Samad und Khorchide

Der Islamkritiker Hamed Abdel-Samad hält Mohammed für einen Terroristen, der Theologe Mouhanad Khorchide versteht den Islam als Barmherzigkeit. Beide trafen sich zum Streitgespräch in Berlin. Von Christoph Scholz 

Es kam wie erwartet - und doch ganz anders. Als sich der Münsteraner muslimische Theologe Mouhanad Khorchide und der Islamkritiker Hamed Abdel-Samad am Mittwoch in den Berliner Räumen des Börsenvereins zur Diskussion einfanden, war der Streit schon bei der ersten Frage absehbar: «Hat der Islam ein Gewaltproblem?» Und dennoch war das Gespräch unerwartet respektvoll, ja von gegenseitiger Wertschätzung geprägt. «Hart in der Sache, aber immer den Menschen vor Augen», so formulierte es Abdel-Samad. Khorchide sprach von ein einer «neuen Gesprächskultur».

Anlass für das Streitgespräch war die Vorstellung des neuen Buchs beider Autoren: «Zur Freiheit gehört, den Koran zu kritisieren». Auf 128 Seiten debattieren sie leidenschaftlich über die drängendsten Fragen zum Islam, vom Gottesbild bis zur Terrormiliz «Islamischer Staat» (IS). Dreh- und Angelpunkt sind die jeweils unterschiedlichen Interpretationen, weshalb das Gespräch auch manchmal aneinander vorbeiläuft.

Khorchide macht vor allem sein Verständnis des Islam als «Barmherzigkeit» stark und plädiert für ein differenziertes Verständnis. Schon die Frage, ob «der Islam als solcher ein Gewaltproblem» habe, ist für ihn falsch gestellt. «Den Islam» gebe es eben nicht: «Es gibt viele Positionen - auch zur Gotteslehre.» Der Islam sei in einem Prozess entstanden und müsse entsprechend in seiner Prozesshaftigkeit verstanden werden. «Eine bestimmte Lesart des Islam hat auf jeden Fall ein großes Gewaltproblem», räumt er ein. Aber «Aussagen, dass der Islam durchweg friedlich oder durchweg gewaltbereit sei, gehen an der Realität vorbei».

Abdel-Samad argumentiert hingegen vor allem vor der Folie fundamentalistischer Positionen. Differenzieren bringe wenig, wenn schon 206 Passagen des Korans Gewalt verherrlichten und der Prophet in seinen letzten «acht Jahren mehr als 80 Feldzüge» geführt habe.

Niemand könnte behaupten, dass der Prophet humanistisch oder friedlich gesinnt gewesen sei. Der Islam sei überhaupt erst durch Gewalt und Kriegsführung groß geworden, resümiert er. Dem von Khorchide behaupteten «Geist der Barmherzigkeit» im Koran widersprächen schon Ausmalung der Höllenqualen, der Umgang mit Frauen und die Verurteilung Andersgläubiger.

Dem hält der Theologe entgegen, dass es nur wenige historisch valide Quellen über das Leben Mohammeds gebe. Die erste Biografie sei erst 130 Jahre nach dessen Tod entstanden. Vieles sei Spekulation. Er wirft Abdel-Samad einen selektiven Umgang mit den Erzählungen vor, die ein bestimmtes Narrativ bedienten und Mohammed als brutalen Kriegsherren darstellten.

Auch mit Blick auf den Koran mahnt Khorchide eine historisch-kritische Sicht an. «Der Koran ist Gottes Menschenwort», lautet die Formel im Buch. Damit müsse man auch stets den geschichtlichen Kontext berücksichtigen. Immer wieder geht es um die Auslegung bestimmter Suren, um Quellenkritik oder historische Begebenheiten.

Dabei pochen beide auf einen pragmatischen Umgang mit dem aktuellen Islam. Abdel-Salam fordert eine radikale Aufklärung. Der Islam sei nicht zu verniedlichen und die Gläubigen reif genug für eine Auseinandersetzung mit den negativen Aspekten. Khorchide plädiert für eine Reform, die die Menschen mitnimmt. Man könne nicht die religiöse Überzeugung von mehr als einer Milliarde Menschen in Frage stellen. «Extreme sind immer schlecht», so Khorchide. «Mit etwas Demut erreicht man die Menschen mehr.»

Abdel-Samad zweifelt hingegen an der Reformierbarkeit des Islam, zumal der Koran dies aus seinem Selbstverständnis nicht zulasse. Dennoch schließt er versöhnlich: Wenn sich Khorchides Verständnis «durchsetzt, verspreche ich, keine islamkritischen Bücher mehr zu schreiben».

Angesicht der Anfeindungen und Vorbehalte gegenüber Khorchide und der Münsteraner Theologie auch seitens muslimischer Verbände dürfte dies noch dauern. Wegen anhaltender Morddrohungen verließ Abdel-Salam das Treffen unter Polizeischutz. Khorchide verwies aber auch darauf, dass die allermeisten Muslime unabhängig von der Interpretation friedliebend seien und ein wesentlich positiveres Bild des Propheten hätten als die extremistischen Auslegungen, auf die Abdel-Samad sich beruft. Auch dies gehört zum Realismus. (KNA)

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