Haft oder Exil

Im Vorfeld der iranischen Parlamentswahlen zeigt sich das Regime in Teheran nervös: die Festnahme weiterer Journalisten setzt die Repressionen gegen die Zivilgesellschaft fort. Marcus Michaelsen informiert.

Von Marcus Michaelsen

Wie ein Lauffeuer verbreitet sich die Neuigkeit im Internet: "Parastou Dokuhaki festgenommen!". Kurz darauf kommen noch zwei weitere Namen hinzu: Marzieh Rasuli und Sahameddin Borghani. Schnell richten Freunde und Kollegen der drei iranischen Journalisten ein Weblog ein, auf dem Presseerklärungen und Solidaritätsbekundungen veröffentlicht werden. Im Internet verbreitete Fotos und Poster rufen zur Freilassung auf. Irans Journalisten haben Übung im Umgang mit Verhaftungen.

Die am 15. Januar in Teheran festgenommene Parastou Dokuhaki zählt zu den bekanntesten Bloggerinnen Irans. Im Jahr 2005 erhielt sie für ihren Blog eine Auszeichnung der Deutschen Welle. Die Journalistin schrieb zudem für die im Januar 2008 verbotene feministische Zeitschrift "Zanan" und engagierte sich in der Frauenbewegung. So unterstützte sie eine Kampagne für den Zutritt von Frauen zu Fußballstadien.

Internetcafé in Teheran, Foto: AP
Jagd auf Blogger, unabhängige Journalisten und NGO-Vertreter: Vor dem Hintergrund des Atomkonflikts und im Vorfeld der Wahlen versucht das Regime verstärkt, kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen.

​​Im März 2007 war Dokuhaki bereits einmal zusammen mit 30 anderen Aktivistinnen während eines Protests in Teheran verhaftet worden. Nach einem Studienaufenthalt in London kehrte Dokuhaki kurz vor den umstrittenen Präsidentschaftswahlen 2009 nach Iran zurück, war aber seitdem weder journalistisch noch politisch aktiv.

Dehnbare Anklagen gegen Medienschaffende

Umso willkürlicher erscheint nun ihre Verhaftung. Weniger überraschend sind allerdings die mittlerweile bekannt gewordenen Vorwürfe gegen Dokuhaki und ihre Kollegin Rasouli: "Propaganda gegen das politische System" und "Gefährdung der nationalen Sicherheit" – dehnbare Anklagen, mit denen das Regime nach wie vor gegen kritische Stimmen vorgeht. Allein seit Jahresbeginn sind zehn Journalisten verhaftet worden.

Mit Blick auf die Anfang März anstehenden Parlamentswahlen will die Machtelite um Revolutionsführer Khamenei offensichtlich jegliche Störung durch Opposition und Zivilgesellschaft unterbinden. Bislang wurden im Vorfeld von Wahlen Restriktionen eher gelockert und begrenzte Debatten zugelassen, um das Interesse in der Bevölkerung zu steigern. Eine hohe Wahlbeteiligung bildet für das Regime ein wichtiges Mittel innerer und äußerer Legitimation. In Folge der letzten Präsidentschaftswahlen steht der Urnengang nun aber unter einem anderen Vorzeichen.

Als erste Abstimmung nach der Wahlkrise des Sommers 2009 stellen die Parlamentswahlen einen heiklen Moment für die Führung der Islamischen Republik dar. Die Protestbewegung gegen die manipulierte Wiederwahl von Mahmud Ahmadinedschad konnte nur mittels systematischer Repression wieder eingedämmt werden. Viele Iraner werden nun vermutlich nicht mehr zur Wahl gehen. Die wichtigsten Reformparteien haben einen Boykott angekündigt.

Der iranische Exiljournalist Vahid Pourostad; Foto: free-journalists.com
Diese Verbindungen zwischen den Journalisten im Exil und denen im Inland stören die iranischen Sicherheitsdienste besonders, meint der iranische Exiljournalist Vahid Pourostad.

​​Zugleich ist die Machtelite in interne Streitigkeiten zwischen den Anhängern von Ahmadinedschad und dem Revolutionsführer verstrickt. Hinzu kommen der internationale Druck aufgrund des Atomprogramms und wirtschaftliche Sanktionen, deren Auswirkungen auf den Alltag nicht mehr zu verleugnen sind.

Kritische Berichterstattung unmöglich

Angesichts dieser Herausforderungen, so der iranische Exiljournalist Vahid Pourostad, suchen die Machthaber zumindest im Bereich der Informationsverbreitung alle Schlupflöcher zu schließen, über die der reibungslose Ablauf der Wahlen in Frage gestellt werden könnte.

Tatsächlich hat der Druck des Regimes auf die Journalisten kaum nachgelassen. Allein in den vergangenen beiden Jahren wurden nach Informationen von "Reporter ohne Grenzen" 250 Journalisten verhaftet. Derzeit befinden sich noch immer 30 Journalisten und 24 Blogger im Gefängnis. Inhaftierte Journalisten werden nur unter Zahlung hoher Kautionssummen freigelassen und müssen immer wieder mit einer erneuten Verhaftung rechnen.

Über 100 Journalisten haben nach 2009 das Land verlassen. Nicht wenige sind unter beträchtlichen Gefahren über die Grenze in die Türkei oder den Irak geflohen, wo sie auf eine Ausreise in westliche Exilländer warten mussten. Aus dem Ausland setzen sie nun ihre Berichterstattung fort. Über Internet und Telefon halten sie Kontakt zu Freunden und Kollegen in der Heimat.

Gerade diese Verbindungen zwischen den Journalisten im Exil und denen im Inland stören die iranischen Sicherheitsdienste besonders, erklärt Vahid Pourostad. Der frühere Redakteur einiger verbotener Reformzeitungen hat Teheran im Sommer 2010 nach einem Gefängnisaufenthalt verlassen und arbeitet nun in Prag für den Auslandssender "Radio Farda".

Ihm zufolge ist eine kritische Berichterstattung in Iran schon lange nicht mehr möglich. Momentan gebe es nur noch drei Tageszeitungen, die dem Reformlager zugerechnet werden könnten und die unter strenger Aufsicht der Zensurbehörden arbeiteten. Zu den Tabuthemen zählten Artikel über die "Grüne Protestbewegung", Interviews mit Reformpolitikern oder Nachrichten zur Lage der politischen Gefangenen.

Rückzug ins Private

Ahmed Shaheed; Quelle:Mehr
Im iranischen Justizsystem seien Folter und die grausame und erniedrigende Behandlung von Gefangenen üblich, erklärte jüngst der UN-Menschenrechtsbeauftragte für den Iran, Ahmed Shaheed.

​​Doch die Repressionen des Regimes treffen nicht nur die Medien allein. Auch Studenten, Frauenbewegung und Gewerkschaften unterstehen strikter Kontrolle. Die Journalistin Maryam Mirza, die seit dem Sommer 2009 nicht mehr in den Iran zurückkehren kann, berichtet, dass iranische Aktivisten nur noch im Privaten zu Lesezirkeln und anderen unverfänglichen Treffen zusammenkommen: "Momentan geht es allein um den Erhalt der Zivilgesellschaft, neue Initiativen kann man unter diesen Bedingungen nicht erwarten."

Die Situation der iranischen Zivilgesellschaft hat durchaus internationale Aufmerksamkeit erregt. Die Vollversammlung der Vereinten Nationen verabschiedete zuletzt im November 2011 eine Resolution, welche die Menschenrechtsverletzungen in Iran verurteilt. Darin wird besonders auf die gestiegene Durchsetzung der Todesstrafe, die Diskriminierung von Frauen sowie die Verfolgung von Journalisten und religiösen Minderheiten hingewiesen.

Der von den Vereinten Nationen beauftragte Sonderberichterstatter Ahmed Shaheed thematisiert in einem ersten Report unter anderem die Misshandlungen von politischen Gefangenen: Einzelhaft in winzigen Zellen, gewaltsame Verhöre und Verweigerung ärztlicher Behandlung. Die iranischen Behörden haben Shahids Einreise bislang nicht gestattet, so dass er auf Gespräche mit Exilanten angewiesen ist. Ein abschließender Bericht soll im März erscheinen.

Im Schatten des Atomkonflikts

Gleichwohl drohen – nicht zum ersten Mal – die Schlagzeilen zu Sanktionen und einer möglichen militärischen Auseinandersetzung im Persischen Golf die Wahrnehmung der Menschenrechtslage in Iran zu überlagern.

Auf Seiten des iranischen Regimes hat der Konflikt mit dem Westen schon in der Vergangenheit immer wieder einen Vorwand für das Vorgehen gegen jedwede Opposition geliefert.

Wie viele andere auch ist Maryam Mirza somit geteilt in der Besorgnis um ihre Freundin Parastou Dokuhaki und die anderen Gefangenen sowie der Sorge um die weiteren politischen Entwicklungen: "Diese letzten Verhaftungen, gekoppelt an die internationale Konfrontation mit Iran und die Konflikte im Innern tragen allesamt zur Beunruhigung der Zivilgesellschaft bei."

Marcus Michaelsen

© Qantara.de 2012

Der Autor ist Islam- und Politikwissenschaftler. Zuletzt erschien von ihm das Buch "Election Fallout. Iran's Exiled Journalists on their Struggle for Democratic Change" im Hans Schiler Verlag Berlin. Darin berichten zwölf iranische Journalisten über ihre Erlebnisse nach dem Juni 2009, angefangen von den Protesten und Demonstrationen, über Haft und Unterdrückung bis hin zum Leben im Exil.

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de