''Religiöse Gesetze können sich ändern''

Michael Muhammad Knight hat den Ruf erworben, ein kultureller Provokateur unter Amerikas Muslimen zu sein. Im Gespräch mit Richard Marcus spricht er jedoch ernsthaft über Glaubensfragen und die Wandlungsfähigkeit des Islams.

Von Richard Marcus

Was hat Sie dazu veranlasst, zum Islam überzutreten?

Michael Muhammad Knight: Ich bin konvertiert, weil ich dachte, dass ich die letzte Wahrheit im Universum gefunden habe.

Doch was hat Sie rückblickend zu Ihrem Übertritt motiviert, ein Übertritt den Sie sich damals ja nicht eingestehen wollten?

Knight: Ich glaube nicht, dass irgend jemand jemals ausschließlich aus religiösen Gründen konvertiert  ist. Das Durchschnittsalter, in dem Menschen zu einer anderen Religion wechseln, liegt bei 15 Jahren. Ich war auch 15, als ich zum Islam fand. Ich machte all die Dinge durch, die 15-Jährige so durchmachen und mein Gehirn war das eines 15-Jährigen: Sowohl was meine geistigen Fähigkeiten als auch meine sozialen Kompetenzen anbetrifft, war es nun mal dieses Stadium, in dem ich mich befand.

Etwas vereinfacht ausgedrückt haben Sie einmal über sich selbst gesagt, dass Sie verschiedene Stadien Ihres Glaubens durchliefen: Zuerst entwickelten Sie sich fast zu einem Fanatiker, doch dann überkamen Sie ernsthafte Zweifel, bis Sie schließlich Sicherheit im Glauben fanden. Was war es, das Sie während all dieser Phasen dazu veranlasste, am islamischen Glauben festzuhalten?

Knight: Das ist so, als würde man fragen, was Englisch zu einer Sprache macht, die wahrer ist als jede andere. Das Einzige, das Englisch für mich wahrer als andere Sprachen macht, ist, dass ich die Sprache verstehe.

Filmposter von 'Taqwacores'; Quelle: PR
Muslimische Punk-Kultur: Michael Muhammad Knights Buch "Taqwacores" versucht zu klären, wie islamischer Glaube, Punk und westliche Werte gemeinsam funktionieren können und traf damit den Nerv vieler muslimischer Jugendlicher. Der gleichnamige Film begleitet Knight und seine Band auf ihrer Tour durch die USA und Pakistan.

​​Englisch ist die Sprache, in der ich denke. Und so fühlt es sich auch mit der Religion an. Ich spreche einfach nicht die Sprache des Hinduismus, was aber ja nicht heißt, dass ich sie als weniger legitim für diejenigen erachte, die sie sprechen.

Aber ist es nicht gerade das, worum es bei Religionen geht: fertige Antworten auf alle Fragen zu bieten, einen festen Lebensweg zu weisen und einen Kompass zu haben, um  diesen Weg auch einzuschlagen?

Knight: Ja, viele Leute werden das über ihre jeweilige Religion sagen, aber so gehe ich mit meiner nicht um. Ich weiß nicht, welche Aufgabe eine Religion wirklich hat, aber ich würde nicht sagen, dass sie für eine jede Person die gleiche Funktion haben muss. Es ist ja schon schwer genug, das Wort Religion nur zu definieren. Es gibt Religionswissenschaftler, die meinen, dass wir das Wort noch nicht einmal benutzen sollten, da es, angesichts der vielen Kulturen und historischen Zusammenhänge, im Grunde genommen nichts aussagt.

Aber wenn man den Buchstaben der religiösen Vorschriften nicht genau folgt, wie kann man dann überhaupt sagen, dass man zu einer bestimmten religiösen Gruppe gehört – ganz gleich, ob es sich um Christen, Juden oder Muslime handelt?

Knight: Religiöse Gesetze können sich ändern - abhängig davon, wie man sie liest. Religionen sind nicht in Stein gemeißelt, sie sind aus Wasser. Wir haben uns daran gewöhnt, die Religion als unwandelbare Einheit vorzustellen, die außerhalb der Geschichte existiert und auf ewig gleich bleibt und dabei immer das Gleiche aussagt, ganz egal, was um sie herum geschieht.

Cover des Buches 'Blue-Eyed Devil: an American Muslim Road Odyssey'; Quelle: PR
"Religionen sind aus Wasser", meint Michael Muhammad Knight und erinnert an die Wandlungsfähigkeit des religiösen Glaubens. Für sein semi-autobiographisches Buch "Blue-Eyed Devil: an American Muslim Road Odyssey" reiste er quer durch die USA, seinem eigenen und amerikanischen Islam auf der Spur.

​​Muslime wie Nicht-Muslime sagen das zumindest über den Islam und bestehen darauf, dass der Islam als Religion seinen Abschluss bereits mit dem Erscheinen des Propheten Mohammed fand und deshalb seit 14 Jahrhunderten unverändert geblieben ist.

Und darin liegt ja auch das Problem, nämlich, dass die Menschen sehen, wenn sie fragen: "Wie kann der Islam in der modernen Welt überhaupt existieren?" – als ob der Islam sich nie gewandelt und angepasst hätte bis zu der Zeit nach dem 11. September. Dieses Denken fußt in keiner historischen Realität.

Und wenn Menschen doch einmal anerkennen, dass sich der Islam gewandelt hat und in der Lage ist, unterschiedliche Formen anzunehmen, dann wird argumentiert, dass diese neuen Formen ja viel weniger authentischer seien als der originale oder "wirkliche" Islam. Diese Leute stellen sich vor, dass sie den "wirklichen" Islam genau kennen, dass dieser irgendwo existiert und man ihn finden kann, wenn man nur aufmerksam genug danach sucht in den heiligen Schriften oder in seiner Frühgeschichte.

Das alles nehme ich nicht ernst. Sie können mich nicht so ohne weiteres fragen: "Was sagt der Islam über Frauen?" oder "Was sagt der Islam zur Gewalt?", weil das unmöglich zu beantwortende Fragen sind. Muslime sagen alles Mögliche, aber der Islam sagt überhaupt nichts. Wir können Muslime zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort beobachten und untersuchen, was sie meinen, aber darüber hinaus lässt sich über den Islam nichts sagen.

Ihre Konversion zum Islam hat Sie in gewisser Weise dem Mainstream der amerikanischen Gesellschaft entfremdet, doch innerhalb ihrer religiösen Gemeinschaft sind Sie ebenfalls ein Außenseiter. Dieses Außenseitertum scheint bei Ihnen scheinbar unausweichlich zu sein. Was ist Ihr Ziel, wonach suchen Sie genau?

Knight: Einige Leute wollen eine Religion, die ihnen entweder alles oder gar nichts bedeutet - eine Reihe von genau definierten Glaubens- und Verhaltensvorschriften. Sind genügend Leute gemeinsam in einem Raum, hat man eine Gemeinde zusammen. Wenn es um diese Art der Religionsvorstellung geht, ist es wirklich nicht schwer, aus dem Rahmen zu fallen.

Für mich gibt es keine religiöse Gemeinschaft, ob islamisch oder nicht, alle meine Bedürfnisse in Gänze befriedigen würde. Es gibt Dinge, die ich in ganz unterschiedlichen islamischen Kulturen und Traditionen liebe, ohne deshalb das Gefühl haben zu müssen, mich dieser oder jener Tradition oder Gruppe bedingungslos verschreiben und allen anderen entsagen zu müssen.

In Ihren Büchern kombinieren Sie unterschiedliche Denkschulen, die nicht nur miteinander unvereinbar sind, sondern sich auch oft widersprüchlich darstellen ...

Knight: Ja, genau. Die Leute sagen immer wieder, dass man nicht gleichzeitig Muslim und Hindu sein kann - oder Hindu und Katholik, oder Muslim und Marxist -, dabei kann ich Ihnen Personen zeigen, nein, ganze Gemeinschaften, die sehr wohl all dies miteinander vereinbaren.

Mir persönlich sagen die Kategorien "Islam", "Christentum" oder "Hinduismus" überhaupt nichts. Über Muslime kann ich viel leichter etwas sagen als über den Islam. Religionen sind doch nur Etiketten. Und die Unterschiede zwischen ihnen existieren nur, weil genügend Leute an diese Unterschiede glauben und weil es Menschen gibt, die Insitutionen schaffen, um diese Unterschiede noch zu verstärken.

Wohin wird Sie die Suche nach einem eigenen Platz im Islam als nächstes führen?

Knight: Wenn es um meinen Platz im Islam geht, habe ich den mittlerweile mehr oder weniger gefunden. Ich habe immer noch jede Menge Möglichkeiten, mich als menschliches Wesen zu entwickeln und diesen Prozess werde ich als Muslim bewusst erleben. Ich weiß aber, was ich vernünftigerweise von einer Religion erwarten kann und werde deshalb nicht mehr von ihr verlangen als genau dies. Oder wie es ein Sufi-Dichter ausdrückte: Ein Alif* ist alles, was ich brauche.

Interview: Richard Marcus

© Qantara.de 2012

* Alif ist der erste Buchstabe des arabischen Alphabets.

Mit seinem Roman "Taqwacores" ist es Michael Muhammad Knight gelungen, den Startschuss für eine ganz neue Jugendbewegung in den USA abzugeben: den muslimischen Punk. Enttäuscht vom Dogmatismus, den er in der Koranschule erlebte, hinterfragt er kritisch die dort vermittelten Weisheiten vom angeblich wahren Glauben. In seinem Roman trinken Muslime Alkohol und hören Musik von den Sex Pistols. Die New York Times sieht in "Taqwacores" einen "'Catcher in the Rye‘ für junge Muslime“.

Übersetzt aus dem Englischen von Daniel Kiecol

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de