Interview mit dem Religionswissenschaftler Christian Röther: "Fast so alt wie der Islam selbst"

Kaum ein Thema erhitzt die Gemüter so schnell und anhaltend wie Debatten über den Islam. Christian Röther, Religionswissenschaftler und Autor, befasst sich seit Jahren mit dieser Entwicklung. Sein Buch "Wenn die Wahrheit Kopf steht. Die Islamfeindlichkeit von AfD, Pegida und Co." ist soeben erschienen. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) spricht er über diffuse Ängste, die bevorstehenden Wahlen und das Unwort des Jahres.

Herr Röther, warum erscheinen momentan so viele Bücher über die AfD - und warum haben Sie darüber geschrieben?

Röther: Das ist sicher eine Folge des Erfolgs der Partei bei den vergangenen Landtagswahlen - gerade im Jahr der Bundestagswahl interessiert dies viele Menschen. Das Thema Islam hat die AfD erst vor ungefähr einem Jahr in den Mittelpunkt gerückt. Vorher hatte sie sich erst auf den Euro und dann auf Flüchtlinge konzentriert. 2009 habe ich mit meinen Recherchen über die antiislamische Szene begonnen. Inzwischen habe ich darüber promoviert und dafür auch Interviews mit Aktivistinnen und Aktivisten geführt. Inzwischen sehen sehr viele von ihnen in der AfD die Partei, die sie politisch vertritt und die auch Chancen hat, ihre islampolitischen Forderungen durchzusetzen.

Warum ist gerade der Islam zu einem solchen Feindbild geworden?

Röther: Die europäischen antiislamischen Bilder sind fast so alt wie der Islam selbst. Er galt zunächst als militärische Bedrohung für das sogenannte Abendland, und viele Stereotype haben sich gehalten: etwa, dass Muhammad vom Teufel besessen und psychisch krank sei. Das ist tief im kulturellen Gedächtnis verwurzelt und wurde in den vergangenen Jahren reaktiviert. 1979 hat ein politisierter Islam im Iran die Macht übernommen. Das wurde im Westen zu Recht negativ aufgenommen, und der politische Islam gelangte ins Bewusstsein der Menschen.

Welche Rolle spielen die Terroranschläge der vergangenen Jahre?

Röther: Der 11. September 2001 spielt eine große Rolle. Danach gab es auch Anschläge in Europa, der niederländische Filmemacher Theo van Gogh wurde ermordet, 2006 kam es zum Konflikt um die Muhammad-Karikaturen. Diese Ereignisse haben den medialen und politischen Fokus auf den Islam gelenkt. Die ersten Gruppen der antiislamischen Szene entstanden Mitte der 2000er Jahre. Seit ungefähr drei Jahren wird die Diskussion durch die Gräueltaten der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) weiter angeheizt.

Die Angst vor Terroranschlägen ist aber vermutlich nur eine von vielen Ängsten, die den Islam betreffen.

Röther: Die Angst vor dem Unbekannten ist wohl eine menschliche Grundkonstante. Die vermeintliche Fremdartigkeit des Islams wird von manchen Medien betont. Zugleich werden Muslime, die nicht fremd erscheinen, in der Öffentlichkeit oftmals nicht als Muslime wahrgenommen.

Immer häufiger scheinen Fakten ohnehin kaum eine Rolle zu spielen - Stichwort "postfaktisch" -, so bei der "Todesfahrt von Heidelberg" am vergangenen Wochenende. Wie kann man damit umgehen?

Röther: Das ist in der Tat ein Problem. Im Fall von Heidelberg hat die Polizei schnell klargestellt, dass keine Islamisten dahinterstecken. Daraufhin behaupteten Menschen, es solle nur verschwiegen werden, dass es eben doch Islamisten waren. Ähnlich ist es bei der Unterstellung, Muslime wollten Europa erobern: Wer ihr widerspricht, gilt in der antiislamischen Szene als Lügner. Dagegen ist argumentativ kaum anzukommen. Dennoch müssen Medien, die Polizei und Parteien weiterhin Fakten verbreiten und hoffen, dass sie sich durchsetzen.

Könnten die muslimischen Verbände generell mehr in punkto Aufklärung tun?

Röther: Ich habe den Eindruck, dass die islamischen Verbände sich einerseits von den Dschihadisten abgrenzen, andererseits aber eine Dämonisierung des Islams fürchten - und sich schwertun, diese Position differenziert zu vertreten. Ihre Aktionen und Äußerungen finden zudem meist weniger Gehör als Terroranschläge oder auch Pegida-Demonstrationen. Derzeit steht etwa die Ditib in der Kritik wegen ihrer Verstrickungen in den türkischen Staat: Wenn die jetzt eine Islam-Aufklärungskampagne starten würden, würden wohl viele Menschen sagen, kümmert euch erst einmal um eure politischen Probleme.

Wie schätzen Sie das Verhältnis zwischen der AfD und den Kirchen ein?

Röther: In diesem Spannungsfeld wird eine Deutungsfrage verhandelt - nämlich die Frage, was es im 21. Jahrhundert in Deutschland bedeutet, Christ zu sein. Die Kirchen und die AfD geben unterschiedliche Antworten: Die Kirchen betonen, dass wir notleidenden und schutzsuchenden Menschen helfen müssen. Die AfD vertritt dagegen die Position, dass wir uns selbst schützen müssen. Entsprechend verbreitet ist Kirchenkritik in der AfD - bis hin zu der Unterstellung, dass Kirchenvertreter heimlich zum Islam konvertiert seien. Zugleich vertritt die AfD teils radikal-christliche, konservative Positionen.

Diese Richtungskämpfe - auch innerhalb der Partei - sind ein zentrales Thema Ihres Buchs. Was erwarten Sie im Wahljahr 2017?

Röther: Seit dem Jahreswechsel habe ich den Eindruck, dass das Thema Islam bei der AfD etwas in den Hintergrund tritt. Womöglich haben sie genug mit internen Konflikten zu tun. Insofern bin ich gespannt, was für eine Kampagne die Partei zum Wahlkampf starten wird.

(KNA)