Virtuelle (Konter-)Revolution

Online-Aktivisten in Syrien waren von Anfang am Aufstand gegen Baschar al-Assad beteiligt. Auch wenn das Regime ihnen nun auf Augenhöhe im Netz begegnet, zeigen sie vor allem eines: dass in dem Bürgerkriegsland weiterhin ziviler Widerstand existiert. Von Jannis Hagmann

Von Jannis Hagmann

Monis Bukharis Website ist ein Baum. Nicht Blätter wachsen an seinen Ästen, sondern Symbole: das Facebook-F, das T des Twitter-Logos, aber auch Links zu Fotolog, Flickr und einem eigenen Blog. Der Baum ist virtueller Ausgangspunkt zum Netizen Bukhari, einem unzähliger Online-Aktivisten der syrischen Revolution.

Eigentlich ist der 35-Jährige Fotograf und Filmemacher. Wer den verlinkten Symbolen am Ende der Äste folgt, stößt auf Galerien mit kunstvollen Fotos von Damaszener Moscheen oder der Beiruter Innenstadt.

Aber da sind auch die Aufnahmen von Massendemonstrationen, ein Kurzfilm über einen Rebellen, der brutal zusammengeschlagen wird, und Videoclips, die Explosionen und blutüberströmte Gesichter zeigen.

Als die Syrer 2011 begannen, sich gegen das Regime Baschar al-Assads zu erheben, wandelte sich Bukhari vom Künstler zum Netzaktivisten. Mit seinen Mitstreitern gründete er die "Syrian Charter Organization" (SCO). Eines der Projekte der SCO ist "Baladna" ("Unser Land"), ein von Aktivisten getragener Radio-Sender. Gesendet wird natürlich online.

"Baladna", betont Bukhari, sei keine oppositionelle Initiative, sondern ein "Dialogprojekt". "Syrer erleben die Raketen und den Krieg tagtäglich, deshalb haben wir uns entschieden, all das nicht zu erwähnen." In dem Programm gehe es um die Zukunft, um Demokratie und Freiheit.

"Wir übertragen zum Beispiel Skype-Konferenzen mit Teilnehmern, die unterschiedlicher Meinung sind", erzählt er, "manchmal bringen wir auch Unterstützer Assads mit Rebellen am selben Ort zusammen."

Monis Bukhari; Foto: privat
Dem Assad-Regime ein Dorn im Auge: Monis Bukhari ist einer der syrischen Internetaktivisten, die das Land verlassen mussten. Ein regimetreuer Spion hatte den Sicherheitskräften mitgeteilt, dass Bukhari Informationen und Bildmaterial aus Syrien an internationale Medien weitergegeben hatte.

​​Selbst das Team von "Radio Baladna" sei bunt gemischt, was religiöse Fragen angehe, sagt Bukhari. In einem längst militarisierten und konfessionalisierten Konflikt leisten die Aktivisten zivilen und konfessionsübergreifenden Widerstand.

Twittern im Minutentakt

Neben dem Internet-Radio läuft unter dem Dach der SCO das Projekt "New Syria News", ein Twitter-Nachrichtendienst, der von zahlreichen Reportern im Land gefüttert wird. Mehr als 100.000 Tweets in eineinhalb Jahren haben die Aktivisten versandt, über 70 täglich.

"Wir haben ein Team von Frauen in Syrien", erklärt Bukhari, "eine trägt via Skype und Facebook die Nachrichten von den Reportern zusammen. Sie gibt sie weiter an einen Redakteur, der sie wiederum an die Veröffentlicher weitergibt. Die Veröffentlicher sind vier Frauen, die in Schichten arbeiten. Alle arbeiten natürlich von zu Hause aus."

Auch Bukhari arbeitet von zu Hause aus, von seinem temporären Zuhause in Jordanien. Er ist eines der SCO-Mitglieder, die das Land verlassen mussten. Ein regimetreuer Spion hatte den Sicherheitskräften gesteckt, dass Bukhari Informationen und Bildmaterial aus Syrien an internationale Medien weitergegeben hatte. Seit 2011 lebt und arbeitet der Vater einer Tochter in Amman. Von dort koordiniert er als Vorsitzender die Aktivitäten der SCO.

Unterstützer im Netz

Es war Glück im Unglück, dass Freunde ihn vorgewarnt hatten und ihm die Flucht aus Damaskus gelang. Bassel Khartabil konnte das Land nicht rechtzeitig verlassen. Wie die Menschenrechtsorganisation Amnesty International berichtet, verhafteten Sicherheitskräfte den Aktivisten und Software-Entwickler im März 2012 und übergaben ihn später an ein Militärgericht. Informationen, wo er festgehalten wurde, drangen nur über Umwege – etwa über Mithäftlinge – nach außen. Auch seiner Familie wurde der Kontakt verwehrt.

Der Anfang 30-Jährige verdankt es seinen Unterstützern im Netz, dass er nicht in der Anonymität versinkt. Als sich seine Verhaftung am 15. März zum ersten Mal jährte, riefen Netzaktivisten weltweit den Free-Bassel-Day aus. Zuvor hatten sie bereits eine Online-Kampagne unter dem gleichen Motto gestartet. Auch die Menschenrechtler von Human Rights Watch und Amnesty International wurden auf Khartabil aufmerksam und fordern seine Freilassung.

Das "Gulf Center For Human Rights" schreibt: "Die Verhaftung Bassel Khartabils und seine andauernde Haft stehen in direktem Zusammenhang mit seinem Einsatz für Informations- und Meinungsfreiheit." Khartabil hatte sich auf die Entwicklung von freier Software spezialisiert. Er soll an Programmen wie Mozilla Firefox beteiligt gewesen sein; auch an dem Online-Lexikon Wikipedia habe er mitgearbeitet, heißt es auf der Website der Free-Bassel-Kampagne.

"Die Netzaktivisten in Syrien", erklärt Hisham Almiraat, Advocacy-Direktor des internationalen Blogger-Netzwerks "Global Voices", "haben vor allem zu Beginn des Aufstandes eine wichtige Rolle gespielt, als es darum ging, Informationen außerhalb des Landes zu bringen. Sie waren nicht nur Reporter, sondern auch ausgezeichnete Technik-Experten. Sie wussten, wie man die Zensur umgeht, IP-Adressen unterdrückt und erkennt, ob der eigene Computer ausgespäht wird."

Verlängerter Arm des Assad-Regimes im Netz

Mittlerweile habe das Regime jedoch seine Lektion gelernt, sagt Almiraat. Davon weiß auch Bukhari, der Radio-Aktivist, zu berichten. "Unsere Website", sagt er, "wurde schon oft angegriffen. Sie haben auch unsere Facebook-Seiten gehackt." Bukhari ist überzeugt, dass es sich um Online-Aktivisten der sogenannten Syrischen Elektronischen Armee (SEA) handelt, einer Gruppe Assad-treuer Hacker. Denn längst nicht mehr geht Netzaktivismus in Syrien automatisch mit der Opposition gegen das Regime einher.

Im April erst waren Twitter-Konten des englischen Guardians zum Ziel einer Hackerattacke aus Syrien geworden. Zu dem Angriff bekannte sich die SEA, die der britischen Zeitung vorwarf, "Lügen und Verunglimpfungen über Syrien" zu verbreiten. Auch Angriffe auf die Konten der BBC, France 24 und anderer internationaler Nachrichtensender gehen Berichten zufolge auf das Konto der Gruppe. Im vergangenen Jahr soll sie zudem eine Website Al-Jazeeras lahmgelegt haben.

Nutzer eines Laptops; Foto: DW
Syriens Cyber-Hacker in Aktion: Die "Syrian Electronic Army" hatte in den letzten Monaten zahlreiche Medien angegriffen, darunter die Nachrichtenagenturen AFP und AP und die britische BBC. Besonders spektakulär war der Angriff auf AP Ende April: Dabei verbreiteten die Hacker über das AP-Twitterkonto die Fehlinformation: "Zwei Explosionen im Weißen Haus, Obama verletzt."

​​Unklar ist, wie eng die Verbindungen zwischen den Hackern und dem Assad-Regime tatsächlich sind. In einer Rede im Sommer 2011 nahm Baschar al-Assad wohl persönlich auf die SEA Bezug, als er sagte: "Es gibt die elektronische Armee, die eine wirkliche Armee in der virtuellen Realität
ist."

Bukhari ist sich sicher, dass die SEA eine vom Regime organisierte und finanzierte Organisation ist. "Die Mitglieder werden monatlich von der Regierung bezahlt", sagt er, der seine Informationen von zwei Überläufern hat, die nun statt für die SEA für Bukharis SCO aktiv sind. Andere Quellen berichten, dass nur für geglückte Hack-Attacken Geld gezahlt werde.

Für Almiraat von "Global Voices Advocacy" ist die SEA Sinnbild eines Paradigmenwechsels. "Zu Beginn der 2000er Jahre", sagt er, "dachten autoritäre Regime, das Internet sei lächerlich, ein Spielplatz für Teenager. Heute haben wir Armeen im Netz." Auch er ist überzeugt, dass die SEA keine lose Gruppierung regierungstreuer Computer-Nerds ist, sondern "der verlängerte Arm des Assad-Regimes im Netz."

Auch wenn die netzaktive Opposition nur noch einer mehrerer Akteure im Netz ist, bleibt Bukhari optimistisch: "In den letzten zwei Jahren haben die Bürger gelernt, Medien zu machen. Das Internet hat uns die Werkzeuge an die Hand gegeben, um zu kommunizieren."

Nun wollen die SCO-Aktivisten Institute in den von Rebellen kontrollierten Gebieten aufbauen, um "Journaktivisten" auszubilden. Das sind Aktivisten, die die journalistischen Arbeitstechniken beherrschen. "In Syrien haben wir wenig Erfahrung, wenn es darum geht, Kameras zu benutzen oder Berichte zu schreiben", erklärt Bukhari.

"Wir hatten 50 Jahre lang keine freien Medien, also auch keine gute Journalistenausbildung." Zwei Ausbildungsstätten im Norden des Landes gebe es schon. Mit ihrem neusten Projekt also verlassen die Netzaktivisten der SCO die virtuelle Welt.

Jannis Hagmann

© Qantara.de 2013

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de